Als Griechenland gut bayerisch war


Die Griechen und die Deutschen: ob das noch mal was wird? Die Eurokrise hat einen Keil zwischen die beiden Völker getrieben. Vorurteile, Missverständnisse und Verletzungen sind an der Tagesordnung. Dabei kennt man sich eigentlich sehr gut und schon sehr lange. Denn die Anfänge des heutigen Hellas vor rund 180 Jahren waren ausgesprochen deutsch.

London, Mai 1832. Die Großmächte suchen nach einem Herrscher für das junge Griechenland. In einem erbitterten Krieg ab 1821 haben sich die Griechen die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpft, unterstützt von England, Frankreich und Russland. Nun fehlt noch ein König.

Die Wahl fällt auf Otto, den 16-jährigen Sohn des bayerischen Königs Ludwig I. Ludwig ist ein fanatischer Anhänger des antiken Griechenlands, er verehrt die altgriechische Kunst. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Anweisung, dass Bayern künftig mit Ypsilon geschrieben werden soll - der Buchstabe wirkt so schön griechisch. Ludwig steht nicht allein. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts erobert der Griechen-Kult – die Zeitgenossen sprechen von Philhellenismus – ganz Europa, voran Deutschland.

Die Bayern rackern
Otto trifft im Februar 1833 in Griechenland ein. Mit an Bord sind Experten aus Bayern, voran ein „Regentschaftsrat", weil Otto noch minder jährig ist. Und so heißen die ersten griechischen Machthaber nicht Papadopoulos, Tsanaktsidis oder Vakalopulos. Sondern Graf Joseph Ludwig von Armansperg, Georg Ludwig von Maurer und Karl von Abel. Hinter ihnen steht eine Reihe von künftigen Beamten aus Bayern.

Die meisten von ihnen sind entsetzt, als sie das frisch befreite Land erblicken. Das antike Griechenland im Hinterkopf hatten sie ein Volk homerischer Heroen erwartet. Stattdessen ist überall Not, der fast zehn Jahre währende Krieg hat alles verwüstet. Seuchen raffen die Einwohner dahin (und bald auch die Bayern), es herrscht Hunger. Räuberbanden verunsichern ganze Provinzen, vielerorts toben bürgerkriegsartige Kämpfe. In den Bergen geht es mitunter recht „afghanisch" zu. Während das damalige Deutschland nach heutigen Kriterien ein Schwellenland war, ist das junge Königreich eindeutig ein Entwicklungsland.

Doch die Bayern rackern redlich. Sie fördern Landwirtschaft, Handwerk und Industrie, so gut es geht. Straßen und Brücken müssen gebaut, Postverbindungen eingerichtet werden. Es entstehen ein Kohlebergwerk, Ziegelbrennereien und ein Eisenhammerwerk. Selbstredend wird auch bayerisches Bier gebraut. Es folgt eine Unmenge an Gesetzeswerken, eine liberale Gemeindeordnung wird erlassen, die Verwaltung in zehn Kreise gegliedert. Das Land wird vermessen und kartiert. Aus bayerischen Freiwilligen wird eine Schutztruppe angeworben, außerdem eine Gendarmerie gebildet

Mehr noch. Eine medizinische Versorgung wird aufgebaut, eine Apothekerschule gegründet und eine Fachschule für Chirurgie. Seit 1835 gibt es eine Ärztekammer. Ein weites, doch steiniges Feld ist das Bildungssystem. Zwar wird eine allgemeine Schulpflicht von fünf bis zwölf Jahren eingeführt., doch es fehlt an Lehrern. 1837 wird die Universität in Athen geöffnet, hinzu kommt ein Polytechnikum.

Athen! Allein der Name lässt die Deutschen schwelgen. Doch die Hochburg der Antike ist heruntergekommen zu einem Provinzkaff und zudem vom Krieg völlig zerstört, „ein Haufen schmutziger Trümmer", wie der österreichische Gesandte Graf Anton von Proksch-Osten einmal sagt. Daher ist zunächst das peloponnesische Nauplion die Hauptstadt. Doch Otto und seine Mannen, beseelt vom Glauben an die Ewigkeit antiker Größe, wollen unbedingt Athen als Hauptstadt, die Wiege der europäischen Kultur und Demokratie. 1834 ziehen König und Verwaltung dann tatsächlich dorthin um. Allerorten in der neuen Hauptstadt ist nun Baulärm zu hören.

Griechen fühlen sich unterdrückt
Zudem retten die Bayern die Ruinen und organisieren Ausgrabungen. Zwischenzeitlich kommt die Idee auf, das künftige Königsschloss hoch droben auf der Akropolis zu bauen. Deutschlands bester Architekt, Karl Friedrich Schinkel, entwirft den Plan für eine gigantische klassizistische Burg, die über der Stadt thronen sollte. Das hätte die kostbaren Ruinen zerstört. Zum Glück wird nichts daraus. Stattdessen baut Bayerns Haus- und Hofarchitekt Leo von Klenze das Schloss unten am späteren Syntagma-Platz. Heute tagen dort die griechischen Parlamentarier. Übrigens verzichtet Otto auf seine Apanage, um das Schloss zu finanzieren, und auch Papa Ludwig in München spendiert für das ehrgeizige Projekt.

Die Bilanz der Bayern ist nicht schlecht. Doch es bleibt ein Makel, ein Schönheitsfehler, er mag klein erscheinen und war doch letztlich entscheidend: es gelingt den Deutschen nicht, sich beliebt zu machen. Dafür gibt es eine Reihe handfester Gründe. Die Griechen, tief gläubig, sind orthodox, doch König Otto – katholisch erzogen – mag nicht konvertieren. Da kann es auch nicht trösten, dass sich der König nach Landessitte einen Schnauzbart wachsen lässt und gern griechische Tracht trägt. Auch die Reform der Klöster im aufgeklärten Geist ist unpopulär. Dazu kommt das politische System. Das junge Hellas hat keine Verfassung, es ist formell eine absolute Monarchie – mithin hat das Volk kaum etwas zu sagen.

Die Griechen empfinden die „Bavarokratie" mehr und mehr als Fortsetzung der osmanischen Fremdherrschaft. Volk und Verwaltung haben unterschiedliche Ideen und Ideale. Es ist so ähnlich, wie wenn im 21. Jahrhundert das Management von Goldman Sachs GS -0,54% die Occupy-Bewegung übernehmen würde.

1843 kommt es zum Staatsstreich. Griechische Politiker und Offiziere fordern von Otto eine Reform. Hauptpunkte: eine Verfassung sowie die Entlassung der bayerischen Beamten. Otto gibt nach. Die Herrschaft der Deutschen ist damit beendet, nur Otto darf bleiben. Knapp zwei Jahrzehnte später, 1862, muss auch er weichen. Man verübelt ihm, dass ihm die Befreiung der Griechen nördlich der Grenze des kleinen Königreichs nicht gelungen ist. Außerdem kommt die Wirtschaft nicht in Fahrt. Und, nicht unwichtig: Otto hat keinen Sohn, damit fehlt ein Thronfolger. Neuer König wird ein dänischer Prinz. Otto nimmt schmollend sein Exil in Bamberg und hält dort Hof im griechischen Stil.

Ein trauriges Kapitel der neugriechischen Geschichte war von Anfang an die Finanzlage. Das Land blieb abhängig von ausländischen Kreditgebern. England, Frankreich und Russland nutzten dies aus und mischten sich ein. Sogar die griechischen Parteien sortierten sich nach diesen drei Schutzmächten, es gab eine englische, eine französische und eine russische Partei. Eine immense Belastung für das Werk der Bayern.

Lange Jahre galten den Griechen ihre deutschen Anfänge als wenig rühmliche Ära. Mittlerweile wird sie etwas freundlicher gesehen. In jedem Fall hat sie bis heute Spuren hinterlassen, nicht zuletzt im griechischen Selbstbild. Denn den damaligen Griechen war die heidnische Antike zunächst fremd – man verehrte das christliche Mittelalter, als das Byzantinische Reich über den Balkan und Kleinasien gebot. Heute jedoch sehen sich viele Griechen selbstverständlich als Erben der Antike, als Enkel der Erfinder von Demokratie und klassischer Kultur. Doch ironischerweise waren es ausgerechnet die Bayern, die den Griechen im 19. Jahrhundert diese ferne Vergangenheit nahegebracht haben.

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