Athens Regierung von allen Seiten bedrängt

Die politischen Kräfte am Rand profitieren vom Unmut der Bevölkerung über den Sparkurs

Auch die Kehrichtabfuhr streikt. In griechischen Städten wie hier in Saloniki türmen sich inzwischen die Abfallberge.(Bild: KEY / AP)

Die Krise in Griechenland nimmt täglich grössere Ausmasse an. Die Hauptlast tragen die Bürger, immer häufiger kommt es zu Protesten. Die Regierungspartei Pasok rutscht in der Wählergunst weiter ab. Die Opposition fordert Neuwahlen.

Griechenland durchlebt seit dem Frühling 2010 eine extreme Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie hat deutlich spürbare Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bürger. Beobachter sprechen von der schlimmsten Krise seit dem Putsch von 1967, als Generäle die Macht übernahmen und bis 1974 herrschten. Andere gehen noch weiter zurück und vergleichen die Lage mit jener nach dem Ende des Bürgerkrieges im Jahre 1949. Weniger weit zurückgeworfen sieht Finanzminister Evangelos Venizelos das Land. Er erklärte kürzlich in einem Fernsehinterview, der Lebensstandard sei auf den Stand des Jahres 2004 gesunken. Eine griechische Zeitung fragte spottend: «Vor Christus?»

Nostalgische Erinnerungen
Das Jahr 2004 gilt bei den meisten Griechen als ein gutes Jahr. Im Frühsommer war das Land Fussball-Europameister geworden, im August führte es erfolgreich die Olympischen Spiele durch. Ansehnliche Infrastrukturprojekte wurden verwirklicht, das Land hatte international an Ansehen gewonnen. Viele Griechen erinnern sich gern an diese Zeit, manche sprechen sogar von einem «goldenen Jahr».

Wahrscheinlich wollte Venizelos mit seinem Hinweis auf das Jahr 2004 einfach nur auf die Tatsache anspielen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) regierte (und zwar seit 1993) und dass 2004 die konservative Nea Dimokratia (ND) die Regierungsgeschäfte übernahm. Im Jahr des Machtwechsel legte die Wirtschaft noch um fast 5 Prozent zu, doch ab 2008 erlebte das Land in jedem Jahr eine Rezession. Die Arbeitslosenrate liegt heute bei knapp über 16 Prozent, 2012 könnte sie sogar auf über 20 Prozent steigen. Dass vor allem die Regierung der konservativen ND gehörig zur Talfahrt beigetragen hat, ist unumstritten. Statt, wie damals im Wahlkampf angekündigt, die Staatsausgaben zu reduzieren, wurden in der Regierungszeit der Nea Dimokratia zwischen 2004 und 2009 etwa 120 000 Staatsbedienstete eingestellt. Innerhalb von fünf Jahren wurden die jährlichen öffentlichen Ausgaben fast verdoppelt.

Die Bevölkerung muss zahlen

Welche Regierung seit dem Sturz der Militärjunta im Jahre 1974 die grössten Fehler gemacht hat, sei dahingestellt: Bezahlen muss die seit Jahrzehnten verfehlte Haushaltspolitik der Bürger. Vor allem Rentner und Arbeitnehmer wurden seit dem Ausbruch der Krise Anfang des vergangenen Jahres immer wieder zur Kasse gebeten. Bedienstete des Staates mussten zum Teil Einbussen von bis zu 50 Prozent hinnehmen. Der Grundlohn im öffentlichen Sektor liegt derzeit bei 780 Euro. Insgesamt sollen die Bezüge von besonders privilegierten Angestellten bei einigen Staatsbetrieben um bis zu 65 Prozent des Lohnniveaus von 2009 zurückgehen.

Derartige drastische Schritte wirken sich natürlich auf das Wahlverhalten der Bevölkerung aus. Nach ihrem Wahlsieg im Herbst 2009 (fast 44 Prozent der Stimmen, 160 Sitze im Parlament) steht die Regierung Papandreou inzwischen mit dem Rücken zur Wand. Sie hat im Parlament zwar noch immer eine Mehrheit von 154 Sitzen. Doch der Widerstand in den eigenen Reihen wächst. Es wird zunehmend schwieriger, weitere Spargesetze, die von den Gläubigern der Troika (EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank) gefordert wurden, zu verabschieden. Einflussreiche Pasok-Parlamentarier vom linken Parteiflügel, wie Vasso Papandreou, fordern, dass auch die Reichen zur Kasse gebeten werden. Wegen Fehltritten in der Vergangenheit sollten auch Politiker ins Gefängnis kommen, meint die frühere Ministerin.

Gleichzeitig wächst der Widerstand der Arbeitnehmer und anderer sozialer Gruppen wie etwa der Rentner, der Freiberufler oder der Behinderten. In den letzten Tagen war das öffentliche Leben durch Streiks nahezu gelähmt. Besonders bemerkbar macht sich das in der Hauptstadt Athen, aber auch in Thessaloniki, wo sich der Müll seit vielen Tagen meterhoch auf den Strassen türmt. Besonders streikfreudig sind Berufsgruppen im öffentlichen Dienst, die am langen Hebel sitzen: Der Athener Nahverkehr brach über Tage völlig zusammen, es streikten Angestellte der Kommunalverwaltung, des Kulturministeriums, die Gefängniswärter, das Krankenhauspersonal, Journalisten, Fluglotsen und Justizbeamte. Nun wollen sich noch die Lehrer und Hochschulprofessoren den Aktionen anschliessen; es besteht die Gefahr, dass ein ganzes Unterrichtsjahr verloren gehen könnte. Am Mittwoch und Donnerstag findet ein 48-stündiger Generalstreik statt.

Mit fester Hand

Damit trotz allen Widerständen der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden kann, appellierte Ministerpräsident Papandreou mehrmals an die Nea Dimokratia, eine Einheitsregierung zu bilden. Doch deren Vorsitzender, Samaras, winkt regelmässig ab: «Wobei sollen wir mitregieren? Bei Fehlern?», fragt er rhetorisch. Sein Ziel ist eine absolute Mehrheit im Parlament, um das Land «mit fester Hand zu führen», wie er sich ausdrückt. Doch viele praktische Fragen blieben bisher unbeantwortet; zum Beispiel, woher das Geld für die Gehälter der Staatsbeamten kommen soll, falls keine Kredite aus dem Westen mehr überwiesen werden sollten.

Beim Wahlvolk scheint Samaras mit seiner Ablehnung des mit der Troika im vergangenen Jahr vereinbarten Memorandums zu punkten. Papandreou habe völlig falsch verhandelt, man müsse nun das ganze Paket neu aushandeln, wird argumentiert. Die Frage, ob Griechenland gegenwärtig überhaupt noch Verhandlungsspielraum hat, spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Doch mit ihrer Politik sind die Konservativen in den vergangenen Monaten in Umfragen deutlich an der regierenden Pasok vorbeigezogen.

Das System als Verlierer

Würden zum jetzigen Zeitpunkt Parlamentswahlen stattfinden, so ermittelte das griechische Meinungsforschungsinstitut VPRC in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage, käme die Nea Dimokratia auf 31,0 Prozent der Stimmen, die Pasok auf 19,5 Prozent. Zudem würden sieben statt der bisherigen fünf Parteien ins Parlament einziehen. Davon, dass die Sozialisten nun die Rechnung für ihr Krisenmanagement bezahlen, profitieren auch kleinere Parteien, allen voran die kommunistische KKE und das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza). Laut der VPRC-Umfrage würden diese 13,5 Prozent beziehungsweise 8,5 Prozent der Stimmen erhalten. Ebenfalls gute Werte erzielten die Ökologen/Grüne (4,5 Prozent) sowie die Demokratische Linke (4 Prozent).

Zu den Gewinnern zählt laut der Umfrage auch die rechtskonservative Laos mit 8 Prozent. Deren Vorsitzender, Jiorgos Karatzaferis, hatte im Jahre 2010 für das Memorandum mit der Troika gestimmt und auch immer wieder eine Koalitionsregierung zur Rettung der Nation gefordert. Der rechtspopulistische Parteiführer, der sich als schlagfertiger Journalist und Medienbesitzer einen Namen gemacht hat, gewinnt zusehends an Dynamik. Inzwischen plädiert auch er, gemeinsam mit allen Oppositionsparteien, für vorgezogene Parlamentswahlen. Die Pasok, die vor zwei Jahren angetreten war, um das Land aus der Krise zu führen, ist die Verliererin. Doch Verlierer ist auch das politische System: 36,1 Prozent der Bürger würden am liebsten gar nicht an den Wahlurnen erscheinen oder einen ungültigen Stimmzettel abgeben.

Einen Riss im Zweiparteiensystem wünscht sich die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei, Aleka Papariga. Ein solcher Riss kann ihrer Meinung nach durch vorgezogene Parlamentswahlen entstehen. Erklärtes Ziel der Kommunistin ist es, die «Macht der Monopole» zu zerschlagen. Sie fordert unter anderem die Bürger dazu auf, die zusätzlichen Steuern für Immobilien, die jetzt mit der Stromrechnung eingetrieben werden sollen, nicht zu bezahlen. Für das «arme Volk» sei das «eine legale Tat».

Grundlegende Erneuerung

Auch die Syriza ruft zum aktiven Widerstand auf. Der 37-jährige Fraktionschef Alexis Tsipras appellierte an die Bürger, die neue Immobiliensteuer zu boykottieren. Diese sei gegen das Gesetz und gegen die Verfassung. Er plädiert für eine Ablösung der Regierung, für eine neue «Macht-Koalition», für ein «Gegen-Memorandum».

Die dritte Linkspartei ist die Demokratische Linke (Dimar), die im Sommer 2010 unter dem früheren Syriza-Politiker Fotis Kouvelis gegründet worden war. Auch er lehnt die meisten politischen Entscheidungen der Regierung ab. Der Dimar-Politiker Theodoros Margaritis, Mitglied des Exekutivbüros, sagte im Gespräch, vorgezogene Parlamentswahlen seien kein Ausweg aus der Krise. Viel eher müsse das politische System grundlegend erneuert werden. Linksparteien wie Dimar, Syriza oder die KKE konnten bisher von der Wut der Bevölkerung über den Sparkurs der Regierung profitieren.

In das Parlament einziehen würden laut den Umfragen auch die Ökologen/Grüne. Auch sie lehnen die Politik der Regierung ab. Der Pressesprecher Jannis Tsironis meint, Papandreou verhandle in Abwesenheit der Gesellschaft. Diese müsse aber den Preis für die Verpflichtungen zahlen, die der Regierungschef eingehe.

Weniger gut sieht es für die Demokratische Allianz der früheren ND-Aussenministerin Dora Bakojannis aus. Sie hatte im Jahre 2010 für das Memorandum gestimmt und war daraufhin aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen worden. Danach hatte sie sich immer wieder für eine Koalition zwischen der Pasok und der ND ausgesprochen, um das Land mit einer Konsenspolitik aus der schweren Krise zu bringen. Inzwischen plädiert auch sie für vorgezogene Parlamentswahlen. Es sei an der Zeit, dass das griechische Volk eine Notstandsregierung erhalte. Gepunktet bei den Bürgern hat Bakojannis mit ihrer bisherigen Politik jedoch kaum. Nach dem Ausschluss aus der Nea Dimokratia ist ihr Einfluss geschwunden.

Kampf gegen Tsunami

Widerstand gegen die von der Regierung Papandreou betriebene Politik fordert auch der bekannte Komponist Mikis Theodorakis. Um seiner Stimme mehr Gehör zu verschaffen, gründete er Ende 2010 die Bewegung unabhängiger Bürger «Spitha» (Funke). Diese sagt Nein zu den Schulden, Nein zur Troika und zu den Banken. Die Nation, so meint Theodorakis, müsse zusammenhalten: «Das ist unsere Verteidigung gegen den Tsunami, den sie gegen uns vorbereiten, um uns zu ertränken.»

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