Griechische Geschichte: Chronisch verschuldet

Die Ursachen und Folgen von Griechenlands Staatsbankrott 1893 haben erstaunliche Parallelen in der Gegenwart– und auf die Olympischen Spiele drei Jahre später hätte man gerne verzichtet.

Athens Olympiastadion 1896, bezahlt von einem reichen Griechen. Foto: Getty
Die ersten Olympischen Spiele der Moderne wurden 1896 in Athen veranstaltet. Damit hat Griechenland sich seinen berechtigten Platz im modernen Europa verschafft, lautet die Legende, die von griechischen Kommentatoren aus Anlass der Athener Olympiade von 2004 wiederaufbereitet wurde. Was nicht zu der Legende passte, blieb ausgeblendet. Zum Beispiel, dass die Athener Regierung versucht hatte, die „Wiedergeburt der olympischen Idee“ auf griechischem Boden zu verhindern.

Als Baron Pierre de Coubertin am 26. Oktober 1894 in Piräus eintraf, um mit Regierungschef Charilaos Trikoupis über sein Vorhaben zu sprechen, erlebte der erste Präsident des Internationalen Olympischen Komitees eine böse Überraschung. Trikoupis ließ am selben Tag verkünden, seine Regierung werde die Spiele nicht unterstützen, weil sie den damit verbundenen Verpflichtungen nicht nachkommen könne. Stattdessen wurde dem französischen Baron angeraten, die Spiele in Paris auszutragen.

Unproduktiver Charakter der damaligen Gesellschaft

Der Grund der Absage: Der Staat war pleite. Trikoupis konnte es sich nicht leisten, die ausländischen Gläubiger zu erzürnen, denen man seit Ende 1893 keine Zinsen mehr auf griechische Staatsanleihen zahlte. Als die Spiele 18 Monate später doch in Athen stattfanden, war dies reichen Griechen aus dem Königreich und der Diaspora (Istanbul, Smyrna und Alexandria) zu verdanken, die das patriotische Unternehmen finanzierten. Dass private Sponsoren für den bankrotten Staat einspringen mussten, war ein genaues Abbild der damaligen Verhältnisse. Mehr noch: Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum ist für die „politischen Ökonomie“ Griechenlands ein prägendes Merkmal geblieben, bis heute.

„Dystichos eptochevsamen“ lauteten die Worte, die Ministerpräsident Trikoupis am 10. Dezember 1893 aussprechen musste: „Leider sind wir bankrott“. Das Eingeständnis war das logische Ende einer Wirtschaftspolitik, die ehrgeizige Ziele verfolgte, aber mit naiven und leichtsinnigen Methoden betrieben wurde. Diese Politik ist mit dem Namen des Mannes verbunden, der als großer „Modernisierer“ die griechische Politik seit 1875 dominierte. Charilaos Trikoupis war ein von seinem Studium in England geprägter Politiker, der bis 1895 nicht weniger als sieben Mal die Regierung führte.

Wie sah das Königreich Griechenland vor Beginn der Ära Trikoupis aus? 1875 war das kleine Balkanland (das sich erst 1881 bis Thessalien und zur Olymp-Grenze ausdehnte) nach westeuropäischen Maßstäben eine Wüste der Unterentwicklung. Die einzige Eisenbahnlinie war die neun Kilometer lange Strecke von Athen nach Piräus. Im ganzen Land gab es nur 89 dampfkraftbetriebene Fabriken. Von den 1,7 Millionen Einwohnern waren 47 Prozent Bauern und neun Prozent Handwerker, die Arbeiter machten nur vier Prozent aus, kaum mehr als die 3,5 Prozent Kaufleute. Das dominierende Element in den Städten waren Freiberufler wie Ärzte und Rechtsanwälte, die fast ein Fünftel der erwerbstätigen Bevölkerung stellten.

Schon dieses Klassenprofil spiegelt den unproduktiven Charakter der damaligen Gesellschaft. Kein Wunder, dass die griechischen Importe die Exporte um rund 60 Prozent übertrafen. Und dass das Land chronisch verschuldet war. „Niemand darf sich wundern“, schrieb 1868 ein Kommentator in der Zeitung Aion (Jahrhundert), „wenn unser Vaterland dazu verurteilt ist, Schulden auf Schulden zu häufen und zum Spott anderer Staaten ständig vor dem Bankrott steht.“ Diesen Zustand wollte Trikoupis überwinden, indem er auf Förderung der Industrie und eine tiefgehende Reform des Staates setzte.

Königreich Griechenland galt lange als nicht kreditwürdig

Tatsächlich brachte er wichtige Reformen – etwas des Beamtenwesens und der Polizeiausbildung – auf den Weg und kurbelte wichtige Infrastruktur-Projekte an: Eisenbahnlinien und Häfen, Straßen und ein Telegrafennetz. Vor allem aber investierte er in die militärische Rüstung. Das hatte seine eigene Logik. Wie alle griechischen Politiker seiner Epoche war Trikoupis ein Anhänger der „megali idea“. Auch er glaubte, das Königreich müsse sich – als Erbe der alten Griechen und des Byzantinischen Reichs – große Teile des moribunden Osmanischen Reiches einverleiben. Dabei war der Blick nicht nur auf Regionen im Norden wie Mazedonien und Thrazien gerichtet, sondern schweifte weit nach Osten, wo in Istanbul, am Schwarzen Meer und im westliche Kleinasien eine griechische Diaspora ihrer „nationalen Erlösung“ harrte.

Im Gegensatz zu seinen konservativen Gegenspielern wusste Trikoupis, dass die „megali idea“ ohne Rückendeckung der westlichen Großmächte ein eitler Traum bleiben würde. Seine inneren Reformen waren deshalb auch ein Instrument der Außenpolitik: Nur wenn sich das Land zu einem „zuverlässigen Träger der Zivilisation“ entwickelte, mochte der Westen den Griechen eine „zivilisatorische Rolle im Vorderen Orient“ zubilligen.

Das ehrgeizige Programm kostete viel Geld, das Griechenland nicht hatte. Zu finanzieren war es nur durch höhere Steuern oder neue Anleihen. Doch die Steuerpolitik des „Modernisierers“ schonte die Reichen, deren Vermögen für die Industrialisierung des Landes mobilisiert werden sollten. Trikoupis erhöhte die Steuerlasten nur für die ärmeren Schichten, in Form von indirekten Steuern. Die vermögenden Klassen blieb unbelästigt. Vom einfachen Volk wurde Trikoupis deshalb auch als „Steuerpresser“ wahrgenommen – und bei den Wahlen immer wieder abgestraft.

Der ständige Wechsel der Regierungen, der für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts typisch war, hatte gravierende Folgen für die öffentlichen Finanzen. Denn die jeweils siegreiche Partei verschaffte ihren Anhängern die einträglichsten Staatsposten. Mit diesem Klientelsystem hat auch der Modernisierer Trikoupis nicht gebrochen: „Starke persönliche Rivalitäten, Bestechungen, Patronage und fehlende Disziplin kennzeichneten auch weiterhin das politische Leben“, heißt es in der Standardgeschichte der Balkanstaaten von Charles und Barbara Jelavich. Weil sich im Wechselspiel zwischen „konservativen“ und „liberalen“ Regierungen die Haushaltsdefizite immer höher türmten, blieb nur der Ausweg in die internationale Verschuldung. Mit der Auflage von Staatsanleihen für ausländische Anleger begann 1879 auch für Griechenland die „Epoche des Kapitals“.

Krieg und Vermittlung kamen die Griechen teuer zu stehen

Das Königreich hatte bis Mitte der 1870er Jahre als nicht kreditwürdig gegolten, weil es die Kredite von 60 Millionen Goldfranken, die es bei seiner Gründung 1830 von den europäischen Patenmächten bekommen hatte, nie zurückzahlen konnte. Doch der „Liberale“ Trikoupis, der Reformen und industrielle Entwicklung in Aussicht stellte, konnte die Kapitalsperre durchbrechen. 1879 einigte er sich mit den Gläubigern Griechenlands auf eine Umschuldung – mittels einer neuen Anleihe, die auch der Modernisierung des Landes dienen sollte. Besichert wurden die Fremdgelder mit Steuereinnahmen für Güter des griechischen Alltagsbedarfs wie Salz, Zigarettenpapier, Streichhölzer, Spielkarten und Lampenöl.

Für den Schuldendienst waren zunächst nur 15 Prozent der jährlichen Staatseinnahmen fällig. Doch dann folgten binnen zwölf Jahren sechs weitere Anleihen, die sich zu einem Volumen von 630 Millionen Golddrachmen summierten. Damit wuchs der Schuldendienst bis 1891 auf fast vierzig Prozent der Staatseinnahmen. Zum Staatsbankrott von 1893 trugen allerdings auch externe Ursachen bei. Kurz zuvor waren die Preise für Korinthen, das wichtigste griechische Exportprodukt, eingebrochen. Und spätestens als sich aus Fehlspekulationen britischer Bankhäuser in Argentinien eine europaweite Finanzkrise entwickelte, musste die griechische Kreditblase vorzeitig platzen.

Der Staatsbankrott wäre vielleicht dennoch vermeidbar gewesen, wenn die Anleihen sinnvoll genutzt worden wären. Das aber war nicht der Fall. Der Finanzwissenschaftler Andreas Andreadis hat damals berechnet, dass nur ein Bruchteil der 630 Milllionen Golddrachmen in produktive Investitionen flossen. Allein 170 Millionen (37 Prozent der Gesamtsumme) landeten als Vermittlungsprovisionen bei internationalen Bankhäusern, und vor allem in den Taschen vermögender Griechen aus Athen und der Diaspora. Genau darin aber lag der politische Skandal: Die Regierung musste Anleihen nur deshalb aufnehmen, weil sie nicht bereit war, die reichsten Griechen zur Kasse zu bitten. Aber just diese von Trikoupis verschonte vermögende Klasse konnte bei der Platzierung griechischer Anleihen in London und Paris enorme Gewinne machen.

Von den 460 Millionen Drachmen, die für die Staatskasse übrig blieben, gingen 70 Millionen für die Ablösung auslaufender Anleihen und die Tilgung innergriechische Bankschulden drauf. Das verfügbare Kapital schrumpfte damit auf 390 Millionen Drachmen oder 62 Prozent der geliehenen Summen. Aber auch davon ging nur ein Zehntel in produktive Investitionen wie den Eisenbahnbau. Neun Zehntel dienten der Finanzierung des öffentlichen Dienstes und unproduktiver Militärausgaben.

Schon damals argumentierten Ökonomen wie Ioannis Soutsos gegen ein Entwicklungsmodell, das auf Pump beruhte. Sie plädierten für eine Finanzpolitik, die auf einem ausgeglichenen Staatshaushalt basierte. Das würde die Drachme zu einer konvertierbaren Währung machen, erst danach könne sich der Staat auf die internationalen Anleihenmärkte begeben.

Staatsbankrott im Dezember 1893

Die Mahnung erwies sich bald als höchst berechtigt. Im Jahre 1897 verlor Griechenland einen „30-Tage-Krieg“ gegen die Türken, was die Politik der militärischen Aufrüstung ad absurdum führte. Als die türkischen Truppen in Thessalien über 100 Kilometer weit nach Süden vordrangen, wurde Griechenland nur durch die Vermittlung der europäischen Mächte vor territorialen Verlusten bewahrt.

Der Krieg und die Vermittlung kam die Griechen teuer zu stehen. Sie mussten den Türken eine Kriegsentschädigung zahlen, die eine neue Anleihe nötig machte. Und jetzt konnten die europäischen Anleger durchsetzen, was ihnen Trikoupis 1893 noch verweigert hatte: eine „Internationale Finanzkommission“ (IFK), die faktisch die griechischen Staatseinnahmen kontrollierte. Parallel dazu wurde die staatliche Monopolverwaltung in eine „Gesellschaft zur Verwaltung der öffentlichen Schulden“ umgewandelt. Damit waren die Staatseinnahmen quasi an die IFK verpfändet.

Dass das Königreich seine finanzielle Souveränität einbüßte, war die späte, aber logische Folge des Staatsbankrotts vom Dezember 1893. Trikoupis hat diese Entwicklung nicht mehr erlebt. Der grandios gescheiterte Modernisierer war im Sommer 1895 zurückgetreten und hatte sich nach Cannes zurückgezogen. Dort starb er im April 1896, just in der Woche der Olympischen Spiele von Athen, die er nicht gewollt hatte. Und die nur stattfanden, weil der steinreiche Gergios Averoff, ein griechischer Geschäftsmann und Bankier aus Alexandria, das Stadion und das Velodrom finanziert hatte.

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