Eine Million Griechen schummeln bei der Steuer

Griechenland hat die niedrigste Steuerquote aller Euro-Länder. Verantwortlich dafür ist vor allem die enorme Steuerhinterziehung.
Gigantische Steuerhinterziehung: Von 16.974 privaten Schwimmbädern in Athen waren bloß 324 bei der Steuer angegeben - im Hintergrund Athens Wahrzeichen, die Akropolis

Steuerfahnder gehen bei ihren Ermittlungen bisweilen kreativ vor. So etwa beschloss im Frühjahr 2010 Ioannis Kapeleris, Leiter der Abteilung Wirtschaftsverbrechen des Finanzministeriums und damit oberster Steuerfahnder Griechenlands, die Wohnsitze reicher Griechen unter die Lupe zu nehmen. In Vororten wie Ekali nördlich von Athen wohnen amtierende oder ehemalige Minister, Anwälte, Ärzte und Geschäftsleute aus der Hauptstadt. Die müssen Schwimmbäder als Indiz für Wohlstand gegenüber dem Finanzamt angeben. Kapeleris wies seine Männer an, die Angaben der Einkommensteuererklärungen mit aktuellen, hoch auflösenden Satellitenaufnahmen abzugleichen.

Statt 324 Schwimmbäder, wie in den Steuererklärungen angegeben, zählten Kapeleris' Leute anhand der Luftbilder 16.974 Pools. Zuvor von mehreren griechischen Regierungen zur weitgehenden Untätigkeit gegenüber Steuerhinterziehern verpflichtet, zeigten Kapeleris und seine 1200 Kollegen jetzt neuen Eifer: Sie schlossen ohne Quittungen arbeitende Nachtklubs und Cafes, beschlagnahmten angeblich nur zu Geschäftszwecken verwendete Segelyachten und durchleuchteten die Konten von Ärzten, Notaren und anderen gewöhnlich wohlhabenden Freiberuflern, die in Griechenland kaum das Existenzminimum verdienten.
 
Die Folgen bekommen sie jetzt zu spüren: Gegen mehr als 200 Ärzte etwa laufen Ermittlungen wegen massiver Steuerhinterziehungen. Auch Anwälte und Unternehmen müssen mit saftigen Strafen rechnen. Eine Baufirma, die mit gefälschten Rechnungen die Bilanzen aufbesserte, verdonnerte Kapeleris zu einem Rekordbußgeld von 200 Mio. Euro. Insgesamt verhängte er gegen Steuerhinterzieher Strafen von 4,8 Mrd. Euro.

Griechenland kann mehr Geld vom Finanzamt gut gebrauchen. Mit Steuereinnahmen von nur 20 Prozent der Wirtschaftsleistung hat Athen der europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge die niedrigste Steuerquote aller Euroländer – Folge notorischer Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft. Deren Umsatz schätzt Vassilis Antoniades vom Institut für Wirtschafts- und Industrieforschung (IOBE) in Athen auf 59 Mrd. Euro jährlich – ein Viertel der offiziellen Wirtschaft. Könnte der Finanzminister sie auch nur teilweise abschöpfen, wäre das Loch im Haushalt geringer, der Schuldenberg niedriger, würde sich die Frage der Zahlungsunfähigkeit Athens womöglich nicht stellen.

Wir haben mittlerweile Tausende Fälle geprüft und endgültige Steuerbescheide mit hohen Nachzahlungen erlassen“, sagt Ilias Plaskovitis, Generalsekretär des Finanzministeriums. Doch Prüfungen und Bescheide sind eines – ein tatsächliches Plus in der Staatskasse etwas anderes. „Fast alle Steuersünder haben gegen unsere Bescheide Einspruch bei Gericht eingelegt.“ Diese Strategie ist in Griechenland besonders erfolgversprechend. Steuerverfahren dauern oft zehn Jahre, überschlug kürzlich Generalinspekteur Leonandros Rankintzis. Ein Grund: Bisher gibt es keine auf Steuerhinterziehung oder andere Wirtschaftsverbrechen spezialisierten Staatsanwaltschaften oder Gerichte.

Zwar mussten ertappte Steuerhinterzieher selbst im Fall eines laufenden Gerichtsverfahrens ein Viertel der vom Finanzamt festgesetzten Summe innerhalb von 60 Tagen zahlen – allerdings nur auf dem Papier. In der Realität beantragten alle großen Steuersünder eine einstweilige Verfügung gegen die Sofortzahlung – wegen angeblicher wirtschaftlicher Notlage. „Gewöhnlich saßen der Steuersünder, sein Anwalt und ein Richter zusammen. In neun von zehn Fällen erließ der Richter die einstweilige Verfügung“, schildert der Generalsekretär. Was er nicht sagt: Auch Richter sind in Griechenland oft käuflich.

Alte Schwächen sollen nun verschwinden. Ende März erließ das Parlament Gesetze, nach denen ertappte Steuerhinterzieher nicht nur sofort die Hälfte der festgesetzten Steuerschuld und Strafen zahlen müssen, sondern angebliche wirtschaftliche Not als Grundlage für Zahlungsaufschübe oder einstweilige Verfügungen detailliert nachweisen müssen. Zudem darf kein Richter Verfügungen mehr im Hinterzimmer erlassen, sondern nur noch bei einer vollständigen Gerichtssitzung mit Protokoll und Belegen. Dem Finanzministerium ist nun ein Sonderstaatsanwalt zur Verfolgung besonders dreister Steuerhinterzieher zugeordnet.

Dennoch hält Konstantin Bakouris, Leiter der griechischen Abteilung der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI), die gesamte Bekämpfung der Steuerhinterziehung für zu zaghaft. „Will man Steuerhinterziehern endlich effektiv Angst einjagen und sie zur Ehrlichkeit zwingen, müssen die schlimmsten Gauner sofort hinter Gitter und die Zeit bis zum Urteil in Untersuchungshaft abwarten. Bis jetzt ist nicht ein einziger der ertappten Millionenhinterzieher im Gefängnis.“

Nach griechischem Gesetz kann ein Beschuldigter vor einem gültigen Gerichtsurteil nur dann in Haft gesteckt werden, wenn er konkret nachweisbar fliehen will, die Gefahr neuer Verbrechen besteht oder er binnen 24 Stunden auf frischer Tat ertappt wird. Bei Steuerhinterziehung griff bisher keine dieser Voraussetzungen“, erläutert Plaskovitis. Ein neues Gesetz erklärt Steuerhinterziehung nun zum „fortwährenden Verbrechen“, so dass jeder erwischte Steuerhinterzieher als frisch ertappt gilt. „Es wird so möglich sein, Steuerhinterzieher sofort hinter Gitter zu schicken“, sagt Plaskovitis. „Allerdings werden wir dies nur selten anwenden – sonst müssten wir innerhalb weniger Wochen eine Million Griechen ins Gefängnis stecken.“

Zudem zeigen Griechenlands Regierende wenig Bereitschaft, im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Korruption mit gutem Vorbild voranzugehen. So fordert Transparency International seit langem erfolglos, die Vermögenswerte aller Parlamentarier und Minister ab Beginn ihrer Amtszeiten zu veröffentlichen und diese Angaben im Internet stehenzulassen. „Jetzt werden einmal im Jahr Vermögenswerte veröffentlicht, aber alle alten Angaben gelöscht, damit niemand leicht die Entwicklung der Politikervermögen über ihre gesamte politische Karriere verfolgen kann – also dann, wenn sie durch Korruption zu Geld kommen“, sagt TI-Vorsitzender Bakouris.

Auch beim neuen Kampf gegen Steuerhinterzieher gehen die Fahnder selektiv vor: Während etwa die Namen schummelnder Ärzte im Internet veröffentlicht wurden, ist noch kein amtierender oder ehemaliger Politiker von Rang aufgeflogen. Eine Nachricht von einem Ex-Minister, der 178 Mio. Euro vor dem Finanzamt verborgen haben soll, wurde bisher nicht verfolgt, keine Details veröffentlicht. Auch zahlreiche teils schon vor Jahren aufgeflogene Korruptionsskandale, bei denen es um Milliarden Euro geht, bleiben unaufgeklärt. „Bis heute ist kein einziger Parlamentarier oder Minister verurteilt und hinter Gittern gelandet“, sagt Bakouris.

Die Folge: Mitten in der Krise ist das Vertrauen der Griechen in ihre Regierenden weiter gesunken. „Nach unseren Erhebungen halten 92 Prozent der Griechen Parteien und Politiker für korrupt und unglaubwürdig – ein historischer Höchststand“, sagt Bakouris. Dazu kommt, dass den Mitte März veröffentlichten Ergebnisse einer TI-Umfrage unter 6114 Griechen zufolge auch im Alltag Korruption weiter üblich ist: Weit entfernt von den Elitefahndern des Finanzministers waren normale Finanzämter auch 2010 nach Krankenhäusern die korruptesten griechischen Behörden. Die Höhe des durchschnittlichen Bestechungsgeldes: 1492 Euro – ein Plus von gut neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Zudem schickt auch die Rezession die Steuereinnahmen in den Keller. Als sich im vergangenen Jahr abzeichnete, dass Griechenland rund fünf Milliarden Euro (zwei Prozent der Wirtschaftsleistung) weniger Steuern einnehmen würde, als es den Kreditgebern der Euroländer und des Internationalen Währungsfonds zugesagt hatte, erließ das Finanzministerium zwei Notmaßnahmen: Mit der einen bot sie Unternehmen an, deren Steuererklärung noch nicht geprüft worden war, gegen Zahlung einer Sonderabgabe von zwei Prozent des deklarierten Umsatzes nicht mehr geprüft zu werden.

Mit der zweiten bot die Regierung Griechen, deren ursprüngliche Steuerschuld sich durch Zahlungsrückstände und drakonische Strafaufschläge oft auf das Doppelte oder Dreifache erhöht hatte, 55 Prozent dieser Summe zu zahlen und dann schuldenfrei zu sein. „Kurzfristig kann der Finanzminister so die Kasse füllen“, glaubt TI-Chef Bakouris. Die mittel- und langfristig wirkende Botschaft aber ist: „Wer ehrlich und rechtzeitig zahlt, ist der Dumme. Schließlich kann er auch ein paar Jahre auf die nächste Amnestie oder Steuerrabatt warten.“ Ein berechtigter Einwand: Die vorletzte Athener Steueramnestie datiert erst von 2005.

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