Das Schlimmste kommt erst noch

Mit Milliardenkrediten halten Euro-Staaten und IWF Griechenland über Wasser. Dem Land bleibt eine Hoffnung: Wachstum. Aber das ist nicht in Sicht.
Rentner demonstrieren gegen die Sparprogramme der Regierung in Athen
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Evanthia D. hat lange nachgedacht. Jetzt ist sie zu dem Schluss gekommen: "Das kann nicht gut gehen!" Noch vor Weihnachten will die 43-jährige Athener Buchhalterin deshalb in die Schweiz fliegen und dort ein Bankkonto eröffnen, um ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen. "Ich möchte nicht eines Morgens aufwachen, und mein Geld ist weg – oder ich habe plötzlich Drachmen statt Euro auf dem Konto", sagt sie.

Evanthia ist mit ihrer Angst nicht allein. Nach inoffiziellen Schätzungen haben die Hellenen dieses Jahr bereits fast 30 Milliarden Euro ins Ausland geschafft. Fünf von zehn Griechen, so eine Umfrage, halten einen Staatsbankrott ihres Landes für "sehr" oder "ziemlich wahrscheinlich". Ebenso viele erwarten für 2011 eine "erhebliche Verschlechterung" der Wirtschaftslage. Allmählich beginnt sich unter den Griechen eine bittere Erkenntnis durchzusetzen: das Land ist noch längst nicht über den Berg, die Durststrecke wird lang. Und auf die Bevölkerung kommen weitere Opfer zu.
Nicht alle sind dazu bereit: Am Mittwoch legten Streiks die Staatsbahnen und den öffentlichen Nahverkehr in Athen lahm. Mit dem Ausstand protestierten die Belegschaften gegen geplante Einschnitte bei den staatlichen Transportunternehmen. Dort liegen die Gehälter nicht selten beim Doppelten dessen, was in der Privatwirtschaft gezahlt wird. So fahren die Staatsbahnen jeden Tag rund drei Millionen Euro Miese ein. Die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf decken nicht mal ein Drittel der Lohnkosten.

Auch bei den anderen Staatsunternehmen will die Regierung jetzt den Rotstift ansetzen. Für den kommenden Mittwoch haben die Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen, bereits dem sechsten in diesem Jahr. Doch Premier Giorgos Papandreou will unbeirrt an seinem Sparkurs festhalten. "Wir sind noch nicht aus der Gefahrenzone", warnt der Ministerpräsident. IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn konnte bei seinem Athen-Besuch am Dienstag den Hellenen ebenfalls keine großen Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Entbehrungen machen: "Das Schwierigste liegt noch vor Ihnen", sagte er im griechischen Parlament. Wäre Strauss-Kahn durch Athen spaziert, hätte er festgestellt: Schon jetzt ist es schwierig. "Enoikiazete", zu vermieten – an immer mehr Schaufenstern klebt dieser Zettel.

Auf der Hermes-Straße, der traditionellen Athener Shoppingmeile, steht bereits jeder fünfte Laden leer. Griechenland im Griff der Rezession: Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bereits 2009 um 2,3 Prozent zurückging, wird es dieses Jahr voraussichtlich um 4,2 Prozent schrumpfen. 2011 dürfte es erneut um etwa drei Prozent abnehmen. Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um fast zehn Prozent in drei Jahren. Eine solche Rezession hat das Land seit Kriegsende noch nicht erlebt. Während der Staat mit den Hilfskrediten der Euro-Länder und des IWF über Wasser gehalten wird, droht die Realwirtschaft abzusaufen.

Nach Angaben des Verbandes der griechischen Handelskammern gehen Monat für Monat rund 4000 Unternehmen in die Insolvenz. Die Arbeitslosigkeit liegt auf dem höchsten Stand seit 13 Jahren. Unter den bis zu 25-Jährigen, die einen Job suchen, ist bereits jeder Dritte arbeitslos. Welcher soziale Sprengstoff sich da ansammelt, lassen die schweren Ausschreitungen ahnen, von denen viele Protestkundgebungen in Athen in den vergangenen Monaten begleitet waren.

Die Rezession ist das Resultat des rigorosen Konsolidierungsprogramms, das die Regierung im Frühjahr auf den Weg brachte. Das Programm ist die Bedingung für die Bewilligung der Hilfskredite von insgesamt 110 Milliarden Euro, die EU und IWF in vierteljährlichen Raten bis zum Frühjahr 2013 auszahlen wollen – vorausgesetzt, Athen bleibt auf Sparkurs. Die Ziele sind sehr ambitioniert: Bereits in diesem Jahr will Finanzminister Giorgos Papakonstantinou das Haushaltsdefizit um sechs Prozentpunkte senken. Bis 2014 soll die Defizitquote unter drei Prozent gedrückt werden und damit den Vorgaben des EU-Stabilitätspakts entsprechen.

Kein anderes Euro-Land hat sich so ehrgeizige Sparvorgaben gemacht. Der Kraftakt, den sich die Griechen zutrauen, ist allerdings noch schwieriger geworden, seit die EU-Statistikbehörde Eurostat kürzlich die Athener Defizitberechnungen für das Jahr 2009 nachträglich korrigierte: statt 13,6 Prozent lag die Defizitquote bei 15,4 Prozent. Das erfordert im nächsten Jahr zusätzliche Einsparungen, wenn der Athener Finanzminister das gesetzte Defizitziel erreichen will.

Das griechische Sparprogramm sei "ehrgeizig, aber umsetzbar", sagt Poul Thomsen, der Leiter der IWF-Delegation in Griechenland. Er lobt die "beeindruckenden Fortschritte" der Konsolidierungsbemühungen, verweist aber auch darauf, dass "der schwierige Teil des Programms noch vor uns liegt". Auch deshalb bleiben die Finanzmärkte skeptisch. Die Renditen für zehnjährige griechische Staatsanleihen erreichten diese Woche zeitweilig fast zwölf Prozent. Vor allem eine Sorge treibt die Anleger um: Griechenlands erdrückende Schuldenlast. Hinsichtlich der Staatsverschuldung steht Griechenland weitaus schlechter da als alle anderen Problemstaaten der Eurozone.

Ende dieses Jahres dürfte die Gesamtverschuldung 142 Prozent vom BIP erreichen. 2011 wird die Schuldenquote voraussichtlich auf 153 und 2012 sogar über 160 Prozent steigen. Viele Fachleute glauben, dass ein Staat Schulden in dieser Größenordnung gar nicht mehr nachhaltig bedienen kann. Die Zinslast wird so groß, dass sie den Staat zwangsläufig in den Bankrott treibt. Im Jahr 2014 muss der Athener Finanzminister voraussichtlich 20 Milliarden Euro allein für Zinsen aufbringen. Das wären acht Prozent des BIP oder mehr als ein Drittel der diesjährigen Steuereinnahmen.

Ein "Hair-Cut", also ein teilweiser Schuldenerlass, würde Griechenland zwar kurzfristig Luft verschaffen – aber mit welchen Folgen für die anderen Schuldnerstaaten? Eine nachhaltige Lösung wäre ein solcher Schuldenerlass ohnehin nicht. Denn die Konsequenzen für die Kreditwürdigkeit wären fatal, das Land würde sich damit vermutlich auf mindestens ein Jahrzehnt von den Kapitalmärkten ausschließen und wäre auf weitere Notkredite anderer Euro-Staaten und des IWF angewiesen.

Der einzige Ausweg aus dem Schuldendilemma heiße Wachstum, glaubt Giannis Stournaras, Direktor des industrienahen griechischen Wirtschaftsforschungsinstituts IOBE. Nur wenn die Wirtschaft wieder anspringt, könne das Land wieder Primärüberschüsse im Haushalt erwirtschaften und damit beginnen, den Schuldenberg abzutragen, meint Stournaras. Der Schlüssel zum Wachstum liege in den Strukturreformen, die Athen im Rahmen des Konsolidierungsprogramms ohnehin umsetzen muss. So könne allein mit der Öffnung der in Griechenland stark regulierten Transport- und Dienstleistungsmärkte über die nächsten fünf Jahre ein Wirtschaftswachstum von 16 Prozent freigesetzt werden, heißt es in einer Studie des Instituts.

Auch die Athener Regierung hat erkannt, dass die rezessionsgeplagte Wirtschaft Wachstumsimpulse braucht. Sie will deshalb im kommenden Jahr die Unternehmenssteuern von 24 auf 20 Prozent senken sowie den Bürokratieabbau vorantreiben, um Unternehmensgründungen zu erleichtern und ausländische Investoren anzuziehen. Wachstumspotenziale sieht Ministerpräsident Papandreou neben dem Tourismus vor allem in der Nutzung erneuerbarer Energien und in der Umwelttechnologie. Auch IWF-Direktor Strauss-Kahn appellierte jetzt an die Athener Regierung, mit Strukturreformen die Weichen für Wachstum zu stellen: "Ohne Wachstum werden Sie ihre Probleme nicht lösen können."

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