Fremdenhass in Griechenland - Die rechtsradikalen Profiteure der Krise


Ende Mai war die griechische Hafenstadt Patras Schauplatz einer regelrechten Jagd auf Migranten: Neonazis stürmten ein Haus mit Einwanderern, nachdem ein Grieche von einem Afghanen ermordet worden war. Fakt ist: Athen ist von den vielen Einwanderern ob massiver Etatkürzungen überfordert. Den Rechten verschafft das Zulauf.

Vögel, Vorgärten, Verandas. Nicht reich, aber beschaulich: It‘ies, ein Stadtteil in Patras. Vor wenigen Tagen waren die Bewohner von It‘ies plötzlich in den Schlagzeilen. Hunderte von Neonazis waren angerückt, skandierten fremdenfeindliche Parolen, belagerten eine von illegalen Migranten behauste alte Fabrik, versuchten diese mit einem Bagger zu stürmen und lieferten sich bis tief in die Nacht heftige Straßenschlachten mit der Polizei.

Auslöser war der Mord an Thanassis Lazanas. Mitten in der Nacht sei der 30-Jährige neben dem Bahndamm niedergestochen worden, sagt der 52-Jährige Spiros: "Er ist mit seinem Hund Gassi gegangen. Dabei hat er zwei Afghanen getroffen. Der Hund hat die wohl angebellt und die haben nach ihm getreten. Thanassis war 1,95 Meter groß, der war stark und hat wohl gedacht, er kann sich mit denen anlegen. Aber dann hat einer ein Riesenmesser gezogen und mehrfach in ihn gerammt."

Elina Makrioriou war die Cousine des Ermordeten. Der Schrecken sitzt ihr noch in den Gliedern: Alle fingen an zu schreien - meine Tante, meine Mutter, die Nachbarn. Der Junge war noch bei Bewusstsein, 'Afghanen' hat er gesagt. In der Nachbarschaft wohnen fast ausschließlich Verwandte. Wir sind alle hingerannt, um zu helfen; bis zum Morgen waren wir im Krankenhaus. Da ist er gestorben. Alle Versuche zu helfen waren umsonst", sagt sie.

"Hier herrscht quasi Ausnahmezustand"  

Ausschreitungen im griechischen Patras. Rechtsradikale versuchten dort, ein Haus mit illegalen Einwanderern zu stürmen.
Der Mord war ein Schock, die Krawalle waren ein Schock. Die 215.000 Einwohner zählende Hafenstadt Patras versucht, zur Besinnung zu kommen. Am schlimmsten ist es im Stadtteil It‘ies. "Wer kann sich noch sicher fühlen, wenn ein Mord in seinem Vorgarten passiert? Wir haben kleine Kinder. Die Schule droht zu schließen. Wir haben Angst die Kinder hinzuschicken. Hier herrscht quasi Ausnahmezustand, wegen der vielen Migranten und es werden immer mehr", sagt die Cousine des Ermordeten.

Bis zu 5000 Migranten sollen es gegenwärtig sein. Sie sind illegal im Land. Sie bewohnen aufgegebene Fabriken, alte Lagerhallen, leerstehende Häuser. Davon gebe es viele in Patras, sagt Yannis Dhimaras. Der Stadt, so der parteilose Bürgermeister, gehe es nicht gut. Viele Fabriken haben zugemacht, viele Arbeitsplätze sind verloren gegangen, viele Menschen haben keinen Job, etliche Geschäfte wurden geschlossen. Früher gab es hier eine Tafel für Bedürftige. Heute ist es so, dass sich viele einstige Spender um Spenden für sich selbst bemühen, weil sie mittellos geworden sind.

Seit zwei Jahren ist der besonnene 66-Jährige Bürgermeister von Patras. Die Stadt sei auf Mittel des Staates angewiesen, erklärt er. In diesem Jahr bekäme Patras nur etwa die Hälfte dessen, was es 2010 bekommen habe. Die kommunalen Steuern seien eingebrochen. 29 Prozent der Bürger könnten ihre Abgaben nicht mehr zahlen. Viele städtische Ausgaben seien deswegen gestrichen worden.

Politik auf dem Rücken der Schwächsten

Diese missliche und explosive Lage versuchen Neonazis auszunutzen. Sie wissen, dass es vielerorts in Griechenland ein wachsendes Unbehagen wegen illegaler Migranten gibt. Der 60-Jährige Vasilis wohnt knapp 100 Meter vom Tatort in It‘ies entfernt. Auch er fürchtet sich: "Bei der Nachbarin da drüben haben sie schon zweimal Wäsche von der Leine geklaut. Sie kommen in meinen Garten und pflücken Obst. Gut, das ist nur Obst, aber die latschen hier einfach rein. Da fühlt man sich unsicher. Ich schließe jetzt immer alles ab."
  
Die Situation im Stadtteil It‘ies hat sich mit dem neuen Hafen von Patras drastisch verschärft. Viele Illegale versuchen, hier auf Schiffe oder Fähren nach Italien oder Mitteleuropa zu kommen. Nicht die Stadt sei für den Hafen zuständig, sondern die Regierung in Athen, betont Bürgermeister Dhimaras. Immer wieder habe er die zuständigen Stellen gebeten, sich der Probleme anzunehmen. Aber es fehle praktisch an allem, um den Hafen sicherer zu machen: an Personal, Geld und Ausrüstung. Die versprochenen Körperscanner, die auf Körperwärme reagierten und versteckte Menschen aufzuspüren helfen, seien seit langem überfällig.

In Patras - wie auch in vielen Städten und Dörfern Griechenlands - fehlt in diesen Tagen vor allem eins: die Zuversicht auf eine bessere Zukunft. Es ist in den vergangenen Jahren unglaublich viel schief gegangen. Anders ist es kaum zu erklären, dass die neofaschistische Partei Goldene Morgenröte beim Urnengang am 6. Mai sieben Prozent der Stimmen bekommen und 21 Sitze erringen konnte. Deren Chef Nikolaos Michaloliakos verkündet am Tag nach der Wahl sein wichtigstes Ziel: "Alle illegalen Migranten raus, raus aus meinem Land, raus aus meinem Heim."

Die Migranten werden als schwächste Individuen im Land zu kollektiven Sündenböcken gestempelt: "Ich bin für ein Griechenland, das nicht zu einem sozialem Dschungel wird, weil sie Millionen illegaler Migranten in unsere Heimat gebracht haben, ohne uns zu fragen", so Michaloliakos.

Kampfansage an die Demokratie
"Alle aufstehen, zeigt euren Respekt", brüllt ein bulliger Mann mit Kurzhaarschnitt in fehlerhaftem Altgriechisch zu Beginn der ersten Pressekonferenz des Partei-Führers. Die Mehrzahl der verdatterten Journalisten erhebt sich reflexartig. Andere bleiben sitzen und werden angebrüllt, sie sollten sich fügen oder trollen. Dann kommt der Parteichef - und legt los: "Für diejenigen, die es nicht verstehen, werde ich deutlich: Veni, vidi, vici. Ihr habt mich diffamiert, beschuldigt und stumm gemacht. Ich habe euch besiegt. Der Sieg der Goldenen Morgenröte ist ein Sieg gegen die Tyrannei der Massenmedien, gegen die Junta der TV-Kanäle und der Boulevardpresse. Der Kampf geht weiter."
  
Wenige Tage darauf ziehen Tausende Migranten durch die Innenstadt von Athen. Sie fordern Schutz vor der zunehmenden Gewalt durch Rechtsradikale. Die meiste Gewalt gegen Migranten wird nicht registriert, Angegriffene zeigen sie nicht an, die Polizei ist überfordert, unterbezahlt und oft auch desinteressiert. Nach der Wahl kursierten Analysen, denen zufolge knapp die Hälfte der Polizisten für die neofaschistische Goldene Morgenröte gestimmt haben soll.

"Ich bin sicher, dass die Leute, die für diese Partei gestimmt haben, keine Faschisten sind", sagt Ketty Kehayioylou von der UNHCR, der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen. "Es ist die unbeachtete Migrationsbewegung und die wirtschaftliche Krise, die diese Leute verzweifelt gemacht hat. Das ist ja auch ein Thema im Zentrum Athens und in Patras."

Die EU lässt Griechenland im Stich

Laut der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen - kurz Frontex - gelangen 90 Prozent aller illegalen Migranten über Griechenland in die Europäische Union. Hier bleiben die meisten hängen, nicht zuletzt wegen der 2003 beschlossenen so genannten Dublin II-Verordnung. Europas reiche Kernstaaten in Mittel- und Nordeuropa geben Griechenland viele Ratschläge, aber sie helfen nicht in ausreichendem Maße, sagt UNHCR-Sprecherin Kehayioylou: "Europa, die EU und die Europäische Kommission müssen verstehen, dass Griechenland das nicht managen kann. Sie müssen echte, aktive Solidarität anbieten. Man kann nicht einfach nur sagen: 'Griechenland wird das Problem lösen'. Es geht um Menschen, es ist eine humanitäre Frage und Griechenland ist in einer humanitären Krise.

Die Dublin-II-Verordnung regelt, welcher Staat für Asylbewerber zuständig ist. In der Regel ist es das Land, in dem Asylbewerber erstmals EU-Boden betreten - also Griechenland. Welcher illegale Migrant Wirtschaftsflüchtling ist und wer ein Recht auf Asyl hat, kann aber in Griechenland praktisch nicht festgestellt werden. Denn wegen des Sparprogramms gibt es keine personelle Ausstattung. Ein Beispiel: für Asylfragen müssten 2090 Menschen zuständig sein, es sind aber nur 15.

15 Beamte für eine Million Asylsuchende
  
Aufmarsch der Rechtsradikalen in Athen: Seit der Wirtschaftskrise sind die Faschisten im Aufwind.
Griechenland verfügt demnach gegenwärtig über weniger als ein Prozent des für Asylfragen notwendigen Personals. Jährlich kommen UNHCR-Angaben zufolge mehr als 100.000 illegale Grenzgänger nach Griechenland, deren Zahl sich auf über eine Million summiert haben dürfte. Bei einer Bevölkerung von elf Millionen ist das eine gewaltige Belastung, mit der Griechenland weitgehend allein gelassen wird.

Deswegen finden die Parolen der Neonazis einen gewissen Widerhall. In Patras versuchten sie, sich als Ordnungskräfte aufzuspielen, bis die Polizei sie mit Tränengas und Gummiknüppeln vertrieb. In Patras haben sie Jagd auf Migranten und auf Griechen ge­macht. Die neofaschistische Partei der Goldenen Morgenröte scheint jüngsten Umfragen zufolge in der Gunst der Wähler gefallen zu sein. Doch der Wahlausgang ist mehr als ungewiss. Gewiss ist: die Probleme mit illegalen Migranten in Griechenland werden von Tag zu Tag größer. Der mutmaßliche Mörder von Thanassis sitzt hinter Gittern. Er ist Afghane, eigenen Angaben zufolge erst 17 und unterliegt damit dem Jugendstrafrecht.

Elina Makrioriou - die Cousine des Ermordeten hat eine Forderung: "Wir bleiben definitiv nicht bei dem stehen, was Thanassis passiert ist, sondern wir gehen einen Schritt weiter zu dem, was in Griechenland, in Patras und in unserer Nachbarschaft passiert. Das Problem ist sehr groß und es muss eine Lösung gefunden werden. Aber nicht von einfachen Leuten, wie wir es sind, sondern von den 'Großen', von den Parteichefs, die uns jetzt vor den Wahlen versprechen müssen, dass sie eine Lösung des riesigen Migrationsproblems finden werden."

Versprechen sind eine Sache, sie auch einzulösen eine andere. Ohne die Hilfe der EU wird Griechenland die Probleme mit Illegalen und mit Neofaschisten nicht in den Griff bekommen.

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