Der "hässliche Deutsche" ist zurück

Wie die soziale Not in Griechenland und die nie richtig aufbereitete Geschichte der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg alte, böse Geister wiederbelebt. Von Panagiotis Koutoumanos

Anlässlich des griechischen Nationalfeiertags am 25. März, der an die Befreiung von der osmanischen Herrschaft im Jahre 1821 erinnert, erschien in der Zeitung „Paron“ diese Karikatur. „Freiheit oder Tod“ steht auf dem Banner des griechischen Freiheitskämpfers. Der skelettierte Nazi antwortet: „Freiheit? Mal sehen, vielleicht im Jahr 2065. Aber den Tod gibt’s jetzt schon.“

Wenn montagabends um 21 Uhr der TV-Sender Mega seine Comedy-Serie "Zurück nach Hause" ausstrahlt, versammeln sich Hunderttausende Griechen vor dem Fernseher, um sich den Frust von der Seele zu lachen. Geht es den Protagonisten der Serie doch nicht viel anders als ihnen selbst. In der Krise arbeitslos geworden, ziehen die beiden Söhne Kostis und Dimitris sowie die Tochter Alexandra wieder bei ihren Eltern ein. Dabei hat Mutter Katerina selbst ihren Job bei der Feuerwehr verloren, läuft das Süßwarengeschäft von Vater Ilias miserabel. Über Wasser halten kann sich die Großfamilie nur, weil die Freundin von Sohn Kostis – eine junge, attraktive Deutsche mit dem vielsagenden Namen Angela – ihr 600 000 Euro geliehen hat. Geld, dass Angela natürlich samt Zinsen wiederhaben möchte. Zu diesem Zweck mischt sich die gestrenge junge Frau regelmäßig in die privaten und geschäftlichen Angelegenheit der Familie ein. Aber da ihre Bemühungen, die Griechen auf Vordermann zu bringen, nicht fruchten, steht sie spätestens an jedem Monatsende vor den Eltern, droht diesen mit Enteignung und fordert lautstark in deutscher Sprache: "Ich will mein Geld zurück!" Die Griechen finden das jedes Mal zum Brüllen komisch.

Auch Merkel fürchtet Proteste
Leider ist die humoristische Seite des sich rapide verschlechterten griechisch-deutschen Verhältnisses damit aber auch erschöpfend beschrieben. Die griechische Schuldenkrise hat im Mittelmeerland alte, böse Geister erweckt: Plötzlich ist der "hässliche Deutsche" wieder da. Er erteilt allen in Europa Befehle, entmachtet Regierungen, treibt Nationen in die Armut. Und natürlich dürfen dabei NS-Analogien als probates Totschlag-Arsenal in der politischen Auseinandersetzung des linken und rechten politischen Lagers mit der vermeintlichen Hegemonialmacht Deutschland nicht fehlen: Da mutiert Bundeskanzlerin Angela Merkel zum weiblichen Hitler, schlüpfen EU-Offizielle in die Rolle der Gestapo, verkommen griechische Minister zu Kollaborateuren und Griechenland zu Dachau. So verwandeln sich griechische Demonstranten, die in der Öffentlichkeit deutsche Flaggen verbrennen, in nationale Widerstandskämpfer.

So zerrüttet sind die Beziehungen zwischen den beiden Nationen, dass Angela Merkel kürzlich den in Berlin gastierenden Chef des griechischen Gewerkschaftsbundes (GSEE), Jiannis Panajiopoulos, fragte: "Kann ich denn überhaupt nach Athen kommen?" Er hatte sie zuvor eingeladen, in Athen mit den Arbeitnehmervertretern über das zweite Rettungspaket zu diskutieren.

"Angefangen haben die anti-deutschen Ressentiments im März 2010 mit der Veröffentlichung des Magazins "Focus", auf dessen Titelseite unter der Schlagzeile ,Schwindler in der Euro-Familie‘ die griechische Venus von Milo den Deutschen den Mittelfinger zeigt", sagt Ulrike Drißner, Interimsleiterin des Goethe-Instituts in Athen. "Da haben die Griechen vor Wut gekocht", erinnert sie sich. "Die Menschen hier mögen kein Geld mehr besitzen. Aber sie haben immer noch ihren Stolz." Und sie weiß: "Die Griechen reagieren hochsensibel auf die Schlagzeilen in Deutschland." Die Folge: Im Laufe der Krise haben die griechischen Medien immer schwerere Geschütze aufgefahren – vor allem gegen die "Bild"-Zeitung, die inzwischen so gut wie jedem Griechen ein Begriff ist.

"Ich lehne die zum Teil geschmacklosen Bilder, die Zeitungen und TV-Sender von den Deutschen entwerfen, entschieden ab", sagt Kostas Kalfopoulos, Redakteur der seriösen, konservativen Tageszeitung "Kathimerini". Aber hinsichtlich der Griechenland-Berichterstattung in Deutschland müsse er eine "gewisse Gedankenarmut im Land der Dichter und Denker konstatieren". Er sieht da nicht nur politische Überzeugungstäter am Werk, sondern vor allem mangelnde Kompetenz: Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs in den 90er Jahren sei das Gros der deutschen Griechenland-Korrespondenten ostwärts gezogen, so Kalfopoulos. "Die meisten Journalisten, die heute über Griechenland berichten, haben ihr Büro in anderen Ländern, sprechen die Sprache nicht und haben ihre Informationen zumeist aus zweiter Hand." Das mag stimmen. Aber warum fällt die böse Saat, die Medien und extreme politische Gruppierungen streuen, bei vielen Griechen auf fruchtbaren Boden? Das hat ebenso aktuelle wie historische Gründe.

Kein Licht am Ende des Tunnels
Die Geberländer mögen zwar ihre Geduld mit den vermeintlich faulen, unbelehrbaren Südländern verloren und den Eindruck haben, dass sie von ihnen ausgenommen werden. Aber andererseits sind inzwischen auch viele Griechen mit ihrer Geduld am Ende. Seit dem ersten Rettungspaket im Mai 2010 ist die heimische Wirtschaft noch stärker geschrumpft, hat die Verschuldung weiter zugenommen, erreicht die Arbeitslosigkeit neue Höchststände. Gleichzeitig müssen die Bürger den Gürtel immer enger schnallen, ist ein Licht am Ende des Tunnels nicht in Sicht. Dafür geben viele Griechen den von der Troika oktroyierten Rettungsprogrammen die Schuld, die sich lange Zeit zu sehr auf Steuererhöhungen und Einsparungen konzentriert haben und die griechische Volkswirtschaft zunächst abwürgen. So schlägt die Angst der Menschen in Aggressivität um, machen Verschwörungstheorien im Land die Runde.

"Den Deutschen geht es doch gar nicht darum, uns zu retten", meint Kalliopi Pelekanou, Angestellte in einer staatlichen Gesundheitsbehörde, die die Budgets der öffentlichen Krankenhäuser kontrolliert. "Die helfen uns doch nur, bis die Brandmauern um die anderen großen Euro-Länder hochgezogen sind. Wenn die abgesichert sind, werfen sie uns aus dem Euro-Raum", so die 37-Jährige. "Und die Kosten dieser vermeintlichen Rettung sind ohnehin viel zu hoch. Ich selbst bin bald pleite. In den öffentlichen Krankenhäusern ist die finanzielle Not so groß, dass Angehörige schon Verbandsstoff für die Patienten mitbringen müssen. Warum sollen wir uns da auch noch von den Deutschen erniedrigen lassen?"

"Die Deutschen behandeln uns mit Hochmut und Verachtung", beklagt ihre Schwester Anna. "Dabei müssten doch gerade sie wissen, welche Auswirkungen ein solches Verhalten auf die Psyche eines Volkes hat, das ohnehin schon am Boden liegt. Dass Hitler 1932 die Wahlen mit großem Vorsprung gewann, lag doch vor allem an der Demütigung, die die Deutschen nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg erdulden mussten." "Griechenland hätte nie den Euro einführen dürfen", sagt ihr Bekannter Achilleas Manos. "Aber die exportstarken Deutschen wollten ja einen weiteren Auslandsmarkt, der ihnen ihre hochpreisigen Produkte abkauft. In Drachmen hätten wir uns ihre Autos und Waffen doch nie leisten können."

Immer neue Erregungswellen
Von solchen Theorien wollen zumindest die gemäßigten Politiker der bürgerlichen Parteien nichts wissen. Aber wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für Griechenland auch noch einen Sparkommissar mit beinahe diktatorischen Vollmachten fordert, die Verschiebung der Parlamentswahlen empfiehlt und öffentlich daran zweifelt, dass die griechischen Politiker Wort halten, fühlt sich auch die politische Elite vom mächtigen Deutschland gedemütigt.

Dann verliert auch Staatspräsident Karolos Papoulias, der sich sonst vornehm zurückhält, die Contenance: "Ich akzeptiere es als Grieche nicht, dass mein Land von Herrn Schäuble beleidigt wird. Wer ist denn Herr Schäuble, dass er Griechenland beleidigen kann?", entrüstete sich der 83-Jährige. Aussagen, die hierzulande mit Unverständnis oder gar Hohn quittiert werden, was in Griechenland erneut Erregungswellen schlägt. Dann spielen Politiker wie Jiorgos Karatzaferis, Chef der ultrakonservativen Partei Laos, die im Streit um das zweite Rettungspaket ihre Regierungsbeteiligung im Februar aufgab, die historische Karte: "Das Land darf nicht wieder unter dem Stiefel der Deutschen leben", so der Parteichef der Rechtskonservativen.

Noch drastischer wird da Alexis Tsirpas, Vorsitzender der "Koalition der radikalen Linken" (SYRIZA). Er verunglimpfte den Chef der EU-Task-Force in Griechenland, den Deutschen Horst Reichenbach, als den heimlichen "Führer" des Landes, der in Wirklichkeit die Athener Politik plane, gestalte, realisiere und kontrolliere.

Ob diese Politiker glauben, was sie erzählen? "Natürlich gehen Oppositionspolitiker mit solchen Aussagen auf Stimmenfang", sagt Alexis Kalokerinos, Philosophie-Professor an der Universität Kreta. "Und natürlich erscheint es ihnen auch als bequeme Lösung, die heimische Verzweiflung auf einen angeblichen ausländischen Feind zu projizieren. Dabei ist das Letzte, was diese Bevölkerung bei all den Problemen braucht, Zeit damit zu verschwenden, sich zu einer gleichsamen Faust zu vereinen, um gegen den vermeintlichen ausländischen Feind zurückzuschlagen."

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