Folgen der Griechenland-Krise-SOS aus dem Kinderdorf

Griechenlands Krise trifft Kinder besonders hart. Das bringt die SOS-Kinderdörfer in eine prekäre Lage: immer mehr Anfragen, immer weniger Geld - und nun auch noch Steuerforderungen vom Staat. Da nützen auch die ständigen Promi-Besuche wenig.

Der Blick reicht weit über die schmucken Häuser von Vari, bis zum Mittelmeer, doch Stergios Sifnios hat dafür kein Auge. Der leitende Sozialarbeiter für die SOS-Kinderdörfer in Griechenland beugt sich über einen Wust aus Zetteln und Kalkulationen, er hat die Zahlen extra für den Termin zusammengestellt. Was am Ende steht, fasst er in wenigen Worten zusammen: "Die Finanzkrise hat auch die Kinderdörfer voll erwischt."

Mit einem Schlag ist das Leid der jüngsten Griechen vor Weihnachten 2011 in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, seitdem hat es einen Namen: Dimitris Gasparinatos. Von Finanzsorgen gebeutelt, bat der Arbeitslose die Offiziellen in Patras, westlich von Athen, ihm vier seiner zehn Kinder abzunehmen. "Die Krise hat uns umgebracht. Es ist mir peinlich, dass es so weit kommen musste. Aber ich habe nicht einmal zwei Euro, um Brot kaufen zu gehen", sagte Gasparinatos damals dem britischen "Guardian". Der Fall sorgte im ganzen Land für Schlagzeilen.

Das Schicksal der Familie Gasparinatos ist ein Extrembeispiel, doch auch in Vari kennt man die Problematik nur allzu gut. "Es kommt auch bei uns vor, dass Kinder abgegeben werden, aber das ist zum Glück noch die Ausnahme", sagt Stergios Sifnios. Der Trend hingegen ist klar - und in Zahlen zu belegen. 2009, am Anfang der Krise, mussten die SOS-Kinderdörfer in Griechenland rund 350 Fälle von in Not geratenen Familien bearbeiten. 2011, auf dem vorläufigen Höhepunkt, waren es etwa 700.
Und auch die Ursache für die Notlage ist heute oft eine andere: Waren es bisher meist Probleme mit Alkohol, Drogen oder der Gesundheit in den Familien, haben Eltern nun immer öfter kein Geld mehr für die Versorgung ihrer Kinder, auch nicht für das Allernötigste.

Ein weiteres Signal alarmiert die Organisation. Der Anteil der griechischen Familien aus der Mittelklasse unter den Klienten steigt ständig. "Diese Entwicklung ist sehr, sehr gefährlich", sagt Sifnios.

"Wenn man erstmal ganz unten ist, kann es nur noch aufwärts gehen"

Hoch über den Straßen von Vari, zwölf Kilometer südöstlich von der Akropolis gelegen, ist von der Krise auf den ersten Blick wenig zu sehen. Malerisch liegen die beigen Häuser des Kinderdorfs am Berghang, gerade erst wurde die Anlage komplett renoviert. "Die zwei Millionen Euro dafür kamen von einer privaten Spenderin, die Dame ist in Griechenland sehr bekannt", sagt Sifnios. Den Namen will er nicht verraten.

Fünf bis sechs Kinder leben in jedem Haus, zusammen mit ihrer "Mama". Olga ist so eine "Mama", mit ihren Schützlingen wohnt sie im letzten zweistöckigen Bau in einer Reihe von fünf Häusern. Gleich ist Mittagszeit. Um 13.30 Uhr hält der bunte Bus des Dorfes vor dem Haus, zwei von Olgas Schützlingen kommen aus der Schule zurück. Nur der elfjährige Costas fehlt noch, solange wird der Tisch nicht gedeckt. "Mahlzeiten nehmen wir immer alle zusammen ein, so ist das in einer Familie", ruft Olga aus der Küche. Sie hat Schnitzel mit Kartoffelsalat gemacht.

Seit sieben Jahren arbeitet sie nun schon als "SOS-Mama" - ein Fulltime-Job. Die 52-Jährige lebt rund um die Uhr mit den Kindern zusammen, ist wichtigste Bezugsperson. In einer ruhigen Minute spricht aber auch sie von der Krise. "Wir merken das natürlich, vor allem beim Einkaufen. Oder wenn wir mit den Kids Ausflüge machen. Die werden immer teurer. Aber im Sommer haben wir wenigstens das warme Meer vor der Tür - das ist immer noch umsonst."

Ob sie sich Sorgen macht, um die Zukunft ihrer Kinder? Schließlich können sie nicht für immer im Kokon des Dorfes bleiben. "Ich denke, die Dinge werden sich bessern. Wenn man erst mal ganz unten ist, kann es doch nur noch aufwärts gehen, oder?"

Je größer der Bedarf, desto weniger Mittel bekommen die Hilfsstellen

Seinen Optimismus hat sich auch Sozialarbeiter Sifnios erhalten, aber leicht fällt es ihm nicht: "Es ist zum verrückt werden. Wir haben hier in Athen eine Partnereinrichtung, in der bis vor kurzem fünf Sozialarbeiter beschäftigt waren. Jetzt haben sie dort nur noch einen. Dabei bräuchten sie zehn, um mit den vielen Anfragen fertig zu werden." Das Beispiel, sagt Sifnios, sei zwar ein Extrem-, aber beileibe kein Einzelfall. Je größer der Bedarf in der Krise, desto weniger Mittel bekommen die Hilfsstellen zu Verfügung.

Sifnios spricht ruhig, macht lange Pausen im Gespräch. Nur einmal wird er lauter - und fast ein wenig hektisch. Wenn die Frage nach der steuerlichen Belastung fällt, ist es sogar um die Beherrschung des Sozialarbeiters geschehen. Er deutet auf eine Zahl in seinen Unterlagen: "165.000 Euro mussten die SOS-Kinderdörfer in Griechenland im Jahr 2011 abführen. 165.000 Euro! Wenn ich darüber nachdenke, wie vielen Familien wir mit dieser Summe hätten helfen können, bekomme ich furchtbar schlechte Laune. So etwas passiert in keinem anderen Land in Europa."

Tatsächlich gelten in Griechenland erstmals ab 2011 steuerliche Abgabepflichten für karitative Einrichtungen. Kulturelle Angebote, wie etwa die Millionen teure Oper in der Innenstadt Athens kommen hingegen steuerfrei davon. Da hilft es offenbar, dass beispielsweise hinter besagter Oper Griechenlands einflussreichstes Medienunternehmen steht.

Gibt es eine Auswirkung der Krise, die ihn wirklich überrascht hat? Sifnios denkt kurz nach und grinst verschmitzt. "Seit es wirklich schlimm ist, lassen sich noch mehr Prominente hier blicken als sonst. Weihnachten 2011 war es besonders heftig, da haben die sich hier die Klinke in die Hand gegeben." Für die Kinder sei das natürlich aufregend und auch die Publicity schade den Dörfern sicher nicht - aber für die Angestellten sind die VIP-Visiten Stress pur, so der Sozialarbeiter.

Wenige Minuten später rollt ein schwarzer Mercedes durch das Eingangstor. Aus dem Beifahrersitz schält sich eine Schlagersängerin. Es ist Vicky Leandros, sie erkundigt sich, wie sie Hilfe leisten kann.


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