Der berechtigte Zorn der Jugend

In Südeuropa gehen die Menschen auf die Straße. Sie wehren sich zurecht dagegen, dass die kleinen Leute für die Krise bezahlen sollen.

Das Hilfspaket von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) für Portugal ist geschnürt. Insgesamt 78 Milliarden Euro soll das Land erhalten, verbunden mit einem Sparprogramm, das noch weit über jenes hinausgeht, über das die derzeitige Regierung im Parlament gestrauchelt ist. Vielleicht schlucken dann auch die Portugiesen nicht mehr, was die Griechen seit Monaten auf die Barrikaden und die Spanier seit Kurzem auf die Straße treibt: dass nämlich die kleinen Leute und die Jungen für eine Krise bezahlen sollen, die Banken und Politiker verschuldet haben.

In Griechenland wurden die Löhne im öffentlichen Dienst um bis zu 35 Prozent gekürzt, ähnliche Einschnitte gab es bei den Renten und im Gesundheitswesen, die offizielle Arbeitslosenquote erreicht 16 Prozent. In Spanien liegt sie bei 21 Prozent, und beinahe 45 Prozent der unter 25-Jährigen sind ohne Job. Also fast jeder zweite Jugendliche ist dort ohne Arbeit. Dass die jungen Leute auf den Plätzen der großen Städte wie an der Puerta del Sol in Madrid sich nun die Demonstranten in Tunesien und Kairo zum Vorbild nehmen, ist nicht ohne Ironie und doch vollauf gerechtfertigt. Wer Perspektivlosigkeit, Korruption und die Gleichgültigkeit der Politik für die Anliegen der Bürger erleben will, muss nicht übers Mittelmeer reisen, er findet sie in Irland, Portugal, Griechenland, Spanien und andernorts. Die Atomkatastrophe von Fukushima kann die Malaise höchstens in Ländern Mittel- und Nordeuropas überdecken, wo, namentlich in Deutschland, die Politiker in eine auffällige Anti-AKW-Hektik verfallen, der man schon wegen des an den Tag gelegten Aktivismus misstrauen sollte.

Die Bilder, die uns über die Medien erreichen, können höchstens einen annähernden Eindruck von Frust, Enttäuschung und Wut der Menschen in Irland, Griechenland oder Spanien vermitteln. Nachvollziehbar werden sie erst, wenn es einen selber trifft. Da sie das genau weiß, hat Frau Merkel just in diesem Moment nichts Besseres zu tun, als den Südeuropäern zu raten, mehr zu arbeiten und weniger Ferien zu machen. Dass Griechen und Spanier weniger Feier- und Ferientage haben als Deutsche, muss sie genauso wenig interessieren wie der Umstand, dass die niedrigere Produktivität der dortigen Volkswirtschaften der Grund für ihre schwache Wirtschaftsleistung ist, nicht aber die Arbeitsmoral der Bevölkerung. Sie bedient rechtspopulistische Klischees, um ihre verfehlte Euro-Politik zu kaschieren. Überlegenheitsdünkel war in der verblichenen DDR schließlich ebenso üblich wie in der vormaligen BRD.

Kaum war das Hilfspaket für Portugal abgesegnet, an dem auch deutsche Banken, die vor nicht allzu langer Zeit vom Staat vor dem Bankrott gerettet wurden, wieder kräftig verdienen sollen, kamen – nun wieder aus Griechenland – bereits die nächsten Alarmsignale. Die 110 Milliarden Euro, die das Land im letzten Jahr an Krediten erhalten hat, scheinen nicht auszureichen. Eine Finanzierungslücke von 25 bis 30 Milliarden Euro allein für 2012 sei absehbar heißt es, von einer neuerlichen Kreditspritze von insgesamt 60 Milliarden ist die Rede. Bei Renditen auf zweijährige griechische Staatsanleihen, die auf die aberwitzige Höhe von 25 Prozent geklettert sind, ist jedenfalls absehbar, dass sich Athen im kommenden Jahr kein Geld am freien Markt wird leihen können, wie das eigentlich geplant war. Also wird wohl das nächste Hilfspaket geschnürt, ohne dass ein Schnitt gemacht wird, bei dem dann auch Banken auf Geld verzichten müssten. Und beim Gerangel um die Nachfolge des IWF- Direktors sollte man sich angesichts des „gefallenen Engels“ Strauss-Kahn einen Moment auch darüber klar werden, dass – sollten sich die Vorwürfe gegen ihn als stichhaltig erweisen – zumindest ein Teil jener, die über unser Wohl und Wehe entscheiden, an Allmachtswahn und Bewusstseinsspaltung leidet. Wo auch sollten ein Strauss-Kahn und andere soziale Kompetenz erworben haben, die ihnen abzuverlangen wäre, wann denn gelernt haben, eigene Fehler einzugestehen und umzudenken?

Jochen Kelter ist Schriftsteller und lebt in Ermatingen/Schweiz sowie in Paris. Letzte Buchveröffentlichungen: „Bodenseegeschichten“ (hrsg. mit Hermann Kinder) und „Eine Ahnung von dem was ist“ (Gedichte). Alle Beiträge dieser Kolumne unter:

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