SEIT 1800 - In Griechenland ist der Pleitegeier Dauergast

Wenn Banken pleite gehen und Staaten vor dem Bankrott stehen, sprechen Politiker von einer Ausnahmesituation. Dabei sind Krisen ganz normal, sagen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart. In ihrem Buch "This Time is different" zeigen die US-Ökonomen, dass Banken- und Staatspleiten immer wieder geschehen - und wir nichts daraus lernen.

Manchmal ist Timing alles. Die Sorgen um die Zukunft des hochverschuldeten Griechenlands erreichen fast jeden Tag neue Höhepunkte. Und was passiert mit den Staatsfinanzen in Portugal und Spanien, in Großbritannien und den USA? Nach der Bankenkrise kam die Wirtschaftskrise - und jetzt ist die Staatskrise in aller Munde. Da könnte es kaum einen besseren Zeitpunkt geben für die deutsche Ausgabe des bemerkenswerten Buchs "This Time is different", mit dem die Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart seit Herbst vergangenen Jahres von sich reden machen.

Akribisch haben die Autoren sieben Jahre lang die Daten der Finanzgeschichte von 66 Ländern über acht Jahrhunderte recherchiert. Das führt zu mehr als anekdotischen Schmankerln wie Krediten, die florentinische Finanziers Mitte des 14. Jahrhunderts vom englischen Herrscher Edward III. nicht zurückbekamen. Der lange, tiefe, an Zahlen festgemachte Blick zurück in die Finanzgeschichte der Staaten zeigt dem Leser vielmehr, dass das, was wir derzeit als neue Krise der Staatsfinanzen erleben, in der Finanzgeschichte fast Normalität ist. Oder wussten Sie, dass Spanien in seiner Geschichte dreizehn Mal seine Schulden nicht voll begleichen konnte?

Stichwort Griechenland: "Von 1800 bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Griechenland beinahe in ständigem Zahlungsverzug", schreiben die Autoren. Vielmehr waren die Jahre 2003 bis 2008, in denen die Regierungen ihren Schuldenverpflichtungen nachkamen, eine Ausnahme, mehr nicht. Der große Unterschied derzeit ist nur, dass die Staatsfinanzkrise gleichzeitig in so vielen Ländern geschieht.

Kein Wunder, dass Rogoff damit rechnet, dass einige Länder auf der Welt ihre Schulden in den kommenden Jahren nicht mehr bedienen können. Die Sparpläne der Griechen tut er in Gesprächen und Vorträgen lächelnd als "Neujahrsvorsätze" ab.



In den Wirtschaftskrisen nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Staatsverschuldung im Schnitt real um 86 Prozent, zeigt das Buch. Dabei machen Staatshilfen zur Bekämpfung der Krise den kleineren Teil aus. Weit stärker schlagen die niedrigeren Steuereinnahmen durch über Jahre niedrigeres Wirtschaftswachstum ins Kontor. Und was das Wachstum in den USA, in Europa oder Japan in den kommenden Jahren angeht, ist Rogoff skeptisch. Nicht nur bei den Staatsschulden weitet das Buch den Blick, zeigt dem Leser die wiederkehrenden Muster, auch für Spekulationsblasen und Banken- oder anderen Finanzkrisen. Dazu gehört, dass sich vor jeder Blase viele kluge Leute finden, die die Übertreibungen und Ungleichgewichte mit den Worten verteidigen: "Dieses Mal ist alles anders" - und dem Buch seinen ironisch gemeinten Titel verleihen.

Technologische oder Finanzinnovationen, strukturelle Reformen, eine neue Politik - das alles kann der Gesellschaft als Grund der so gefährlichen Denkhaltung dienen, warum die Bewertungen der Vergangenheit nicht gelten und hier und jetzt keine Blase entsteht. Fast lächerlich mutet es heute an, wo wir alle schlauer sind, wenn die Autoren den damaligen US-Notenbankchef Alan Greenspan zitieren mit der Argumentation, die US-Häuserpreise stiegen nur so stark, weil die Möglichkeit der Verbriefung die Häuserkredite einfach liquider mache. Oder Ben Bernankes Argumentation, die hohen Defizite der USA seien tragbar, weil einfach ein weltweiter Sparüberhang entstanden sei, der angelegt werden müsse. Auch der ehemalige Arbeitgeber der beiden Autoren, der Internationale Währungsfonds (IWF), schneidet nicht gut ab, wenn die Ökonomen beschreiben, wie der Fonds im April 2007 die Risiken der Weltwirtschaft noch als extrem niedrig eingestuft hat. Am Ende stellte sich, wie wir alle wissen, heraus, dass im Entstehen der Blase eben nichts anders war - und es durchaus einige Frühwarnsignale gegeben hat.

Rogoff, ehemals IWF-Chefökonom und heute Professor in Harvard, und Reinhart, die eine Professur an der Universität von Maryland innehat, sehen in ebendiesen Warnsignalen Hoffnung für die Vermeidung künftiger Krisen. Sie plädieren dafür, dass internationale Organisationen die höchst unklaren Verschuldungsdaten von Staaten transparenter machen - und als Warnsignal stärker beachten. Und sie hoffen, dass beim nächsten Mal die Alarmglocken läuten, wenn Politiker, Banker oder Ökonomen erklären, warum sich dieses Mal keine Blase bildet und alles anders ist.

Mit rund 400 Seiten Text inklusive zahlreicher Grafiken und Tabellen sowie mehr als 150 Seiten Anhang ist "Dieses Mal ist alles anders" keine leichte Abendlektüre. Die Autoren sind stolz auf ihr gesammeltes Zahlenwerk und schwelgen darin. Sie analysieren jedoch sehr verständlich, in vielen Passagen sogar höchst unterhaltsam, auch wenn der subtile englische Sprachwitz in der deutschen Übersetzung zuweilen verloren geht.

Einige Grafiken sagen auch mehr als viele Absätze Text. So steigt die Linie, die die Zahl der Bankkrisen darstellt, seit den Deregulierungen ab 1970 so sprunghaft an, dass niemand mehr an einen 40 Jahre währenden Zufall glauben mag. Deshalb fordert Rogoff: "Europa und Asien sollten Druck auf die USA und Großbritannien ausüben, um Finanzreformen durchzusetzen und den Cowboy-Kapitalismus zu begrenzen."

Die Krise habe schließlich verdeutlicht, dass Regulierung nicht nur Sache eines Landes sei, sondern große Auswirkungen auf die ganze Welt habe. Alles in allem ist das viel gelobte Buch eine äußerst lohnende Lektüre, auch wenn es für die nächsten Jahre nicht gerade zuversichtlich stimmt, wenn die Autoren warnen: "Dieser Weg in die Krise ist ernüchternd. Aber auch der Weg aus der Krise kann ziemlich gefährlich sein."

Kenneth Rogoff, Carmen Reinhart: Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen
Finanzbuch, München 2010, 592 Seiten, 34,90 Euro

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