Auflösungserscheinungen in Griechenland

Wahlplakate des Bündnisses der Radikalen Linken (Syriza) im Zentrum Athens.(Bild: AP / Petros Giannakouris)

Fünf Tage vor den Neuwahlen zeigt Griechenland immer mehr Anzeichen des Zerfalls. Die beiden Favoriten, die Nea Dimokratia und Syriza, bekämpfen einander mit harten Bandagen.

Ein Wahlwerbespot der konservativen griechischen Partei Nea Dimokratia (ND) zeigt einen Lehrer, der an der Tafel darlegt, welche Länder den Euro haben. «Zypern, Belgien, Portugal, Irland, Spanien . . .». Seine Schüler fragen ihn mit grossen traurigen Kinderaugen: «Und was ist mit Griechenland, Herr Lehrer?» Daraufhin schweigt der Mann. Die Szene legt nahe, dass Griechenland in Zukunft nicht mehr Mitglied des gemeinsamen Währungsraums sein wird, wenn sich die Bürger am 17. Juni nicht für die ND entscheiden.
Keine Berührungsängste

Der Wahlspot, der die Opposition erzürnte, macht die Strategie der Konservativen deutlich: Sie stellen sich als alleinigen Garanten für das Verbleiben in der Euro-Zone dar. Ihre Bemühungen seit der gescheiterten Regierungsbildung nach den Wahlen vom 6. Mai erschöpfen sich mehr oder weniger darin, das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) zu attackieren und als «Drachme-Lobby» zu diffamieren. Dabei ist das Szenario eines Euro-Austritts keineswegs nur unter einer allfälligen Links-Regierung denkbar. Denn auch der ND-Chef Samaras will die mit den internationalen Gläubigern vereinbarten Sparauflagen aufweichen, während der Syriza-Chef Tsipras in den vergangenen Wochen gemässigte Töne angeschlagen hat. Aus der Partei verlautet, sie wolle keine einseitigen Aktionen zur Aufkündigung des Memorandums unternehmen und setze alles daran, im Euro-Raum zu bleiben.

Die letzten Umfragen von Anfang Juni haben keinen Aufschluss darüber gebracht, ob die ND, die aus den Wahlen vom 6. Mai als stärkste Kraft hervorgegangen war, oder Syriza den Sieg davontragen wird. Während die meisten Umfragen der ND einen knappen Vorsprung voraussagen, sah ein Institut das Bündnis Syriza, bei den letzten Wahlen an zweiter Stelle, mit 6 Prozentpunkten Vorsprung vor der ND. Die Partei mit den meisten Stimmen erhält einen Bonus von 50 Sitzen. Vieles deutet darauf hin, dass auch nach diesen Neuwahlen keine Regierungsbildung zustande kommt oder die Regierung schwach sein wird, da sie mit grossem Widerstand der Opposition zu rechnen hat.

Syriza stünde als mögliche Koalitionspartnerin die Demokratische Linke von Fotis Kouvelis zur Verfügung. Auch möchte Syriza weiterhin die Kommunisten mit ins Boot holen, doch diese lehnen jegliche Regierungsbeteiligung ab. Der Politologe George Tzogopoulos hält die Beteiligung der sozialistischen Pasok an einer linken Koalitionsregierung nicht für ausgeschlossen, rechnet jedoch eher damit, dass sich einzelne Pasok-Abgeordnete sowie Mitglieder der rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen an einer von Syriza geführten Regierung beteiligen könnten.

Samaras auf der anderen Seite könnte mit der Pasok und den Unabhängigen Griechen eine Koalition bilden sowie mit dem Bündnis Dimiourgia-Xana, falls Letzteres ins Parlament einziehen sollte. Dass einige Konservative offenbar nicht einmal Berührungsängste mit der rechtsextremen Partei Chryssi Avgi haben, machen die Aussagen von Panagiotis Psomiadis deutlich. Der ND-Wahlkampfleiter für Nordgriechenland sagte laut Medienberichten am Wochenende, er sei im Gespräch mit Chryssi-Avgi-Abgeordneten, um diese zum Übertritt in die ND zu bewegen.

Die Gesellschaft verroht

Für Aufregung gesorgt hatte am vergangenen Donnerstag ein Vorfall, bei dem der Chryssi-Avgi-Abgeordnete und Partei-Sprecher Ilias Kasidiaris vor laufenden Kameras im Morgenprogramm des Fernsehsenders Antenna einer Syriza-Abgeordneten ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete und eine kommunistische Abgeordnete ohrfeigte. Kasidiaris tauchte daraufhin unter, um der Verhaftung zu entgehen.

Manche Medien gaben sich erstaunt. Eine Nachrichtenagentur schrieb, der Vorfall habe das Image der Partei beschädigt. Dabei muss man sich fragen, warum das Image einer Partei, deren Emblem an ein Hakenkreuz erinnert und die sich als nationalsozialistisch bezeichnet, erst nach diesem Vorfall beschädigt sein soll. Bereits in der Vergangenheit machten Mitglieder der Chryssi Avgi mit Überfällen auf Migranten von sich reden. In den letzten Wochen haben sich die Übergriffe gehäuft. In Athen wurden mehrere Ausländer attackiert. Ein israelischer Journalist, der fotografierte, wie Migranten von maskierten und bewaffneten Männern gejagt wurden, wurde zusammengeschlagen. Die Übergriffe werden Anhängern von Chryssi Avgi zugeschrieben. Jüngster Vorfall ist ein Angriff auf vier Ägypter im Athener Vorort Perama.

Viele der Abgeordneten und Mitglieder von Chryssi Avgi sind keine unbeschriebenen Blätter. Der Parteisprecher Kasidiaris soll sich Anfang September vor Gericht verantworten, wegen illegalen Waffenbesitzes und weil er sich 2007 an einem Raubüberfall beteiligt haben soll. Bei den Neuwahlen am 17. Juni wird zwar mit einem Stimmenverlust für die Partei gerechnet, doch Prognosen sagen ihr immer noch rund 5 Prozent voraus. Kommentatoren machen auf die seit Jahren in Griechenland hoffähige Gewalt aufmerksam. So sind die drei Bankangestellten, die im Mai 2010 bei den gewalttätigen Protesten gegen die Sparmassnahmen ums Leben kamen, schon fast vergessen. Auch haben die Fälle, in denen Politiker von wütenden Bürgern attackiert wurden, in den Jahren der Krise zugenommen. Sie werden meist als Fälle des «gerechten Zorns» betrachtet. Der Pasok-Chef Venizelos sagte in einem Interview der Sonntagszeitung «To Vima», dass es eine diffuse gesellschaftliche Spannung und Gewalt gebe. Der gesellschaftliche Zusammenhalt habe sich aufgelöst.

Engpass bei Medikamenten

Doch nicht nur ein zunehmend rohes gesellschaftliches Klima und ein Hang zur Selbstjustiz werfen Fragen nach der Zukunft des Landes auf. «To Vima» ist nur eines von mehreren Medien, die Griechenland von der Auflösung bedroht sehen. Engpässe gibt es bei der Versorgung von Medikamenten, Patienten erhalten Arzneien nur noch gegen Barzahlung. Auch drohen Strom- und Gasengpässe. Der Bausektor, einst ein wichtiger Konjunkturmotor, ist so gut wie tot. Seit Beginn der Rezession 2007 ist die Bautätigkeit um 75 Prozent zurückgegangen, über die Hälfte der Bauarbeiter hat den Job verloren. Der Tourismus verzeichnet dramatische Einbrüche, und nicht zuletzt die Hotelbetreiber hoffen auf die Bildung einer stabilen Regierung, um von der verkorksten Saison zu retten, was noch zu retten ist.

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