Syndrom der Gewalt und politische Sackgasse in Griechenland

Bei den Parlamentswahlen in Griechenland am 06 Mai 2012 steht mehr als nur die Wahl einer handlungs- und überlebensfähigen Regierung auf dem Spiel.

Die beiden traditionellen Machtparteien in Griechenland, sprich PASOK und Nea Dimokratia(N.D.), haben seit dem sogenannten Regime-Wechsel bzw. dem Sturz der “Junta der Obristen” im Jahr 1974 das Land über Jahrzehnte systematisch in die heutige Situation gesteuert und gebären sich trotzdem nach wie vor wie zu Zeiten ihrer vermeintlichen unvergänglichen Allmächtigkeit.

Was bei den anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland am 06 Mai 2012 wirklich auf dem Spiel steht, analysiert der Journalist Giannis Loverdos (Γιάννης Λοβέρδος) in einem Artikel, der am 14 April 2012 in der griechischen Zeitung “Vradyni” publiziert wurde und nachstehend in deutscher Übersetzung wiedergegeben wird.

Warum die nächste Regierung eine Mehrheitsregierung sein muss

Die Wahl der Linken und der gegen das Memorandum gerichteten Parteien, die sich nur verweigern, bietet keine Lösung, sondern nur Geschrei, welches nicht den Notwendigkeiten zur Bewältigung der äußerst fatalen Lage gerecht wird, die heute im Land herrscht.

Ein Beamter der Sondergarde, dem das Unglück widerfuhr, der Manie der “wütenden” Griechen zum Opfer zu fallen, jener, die erachten, die absolute Wahrheit und jedes Recht inne zu haben, diese mittels jeder beliebigen Form von Gewalt zum Ausdruck zu bringen, liegt immer noch in kritischem Zustand im Krankenhaus. Der konkrete Mensch befand sich zufällig im Aktionskreis einer kleinen organisierten Minderheit, die beschloss, den Rentner – Selbstmörder zum Helden zu erklären, der zum Thema der letzten Tage wurde. Und weil die Gewalt in unserem Land inzwischen unkontrollierte Formen annimmt, wurde der Gardist brutal verprügelt, wobei sie ihn auszogen und seine Kleidung in dem Baum aufhängten, an dem der pensionierte Apotheker Selbstmord beging. Ohne in geringster Weise schuld zu haben. Einfach und nur, weil er eine Uniform trug, welche die staatliche Macht symbolisierte, deren Eliminierung die konkreten Täter verfolgen.

Im Gegensatz zu dem Selbstmord des Apothekers kam das unerhörte “Erlebnis” des Polizeibeamten nicht in die Schlagzeilen. Es rief nicht die Sympathie der Leute hervor. Die öffentliche Meinung ignorierte es. Und dies, weil ein Polizist nicht mehr als ein uninteressantes, ein “böses Opfer” sein kann. Im Gegensatz zu all denen, welche den Interessen der Verteidiger der Interessen des Volkes dienen und “gute Opfer” sind. Und dies ist nichts Neues … . Es geschieht seit Jahren.

Unsere Gesellschaft gewöhnt sich an die Gewalt. Die Aktivität der Polizei, die – auch wenn wir es vergessen haben – die einzige ist, die laut der Verfassung und den Gesetzen unseres Landes innerhalb der Grenzen des griechischen Staates das Monopol der physischen Gewalt inne hat, gilt als Bestialität. Die Gewalt der organisierten Minderheiten, angefangen von den Hooligans in den Stadien bis hin zu den Terroristen, wird in “Widerstand des Volkes” gegen die “staatliche Unterdrückung” getauft. Und wir neigen dazu, dies als absolut natürlich zu akzeptieren.

Das Volk ist wütend … und verschweigt seine eigene Verantwortung

Das Volk ist wütend. Und es erklärt bei allen Meinungsumfragen, all jene abstrafen zu werden, die es in diese Situation gebracht haben – womit die Parteien gemeint sind, die seit wenigstens 35 Jahren die Macht handhabten, aber auch das Memorandum unterstützten. All jene, die protestieren und (unserer Meinung nach zu Recht, aber auch aus anderen Gründen) auf PASOK und N.D. wütend sind, verschweigen jedoch natürlich, dass sie die selben Menschen sind, welche seit 1974 bis 2009 ununterbrochen mit für die griechische und europäische Geschichte ungekannten Stimmanteilen beständig für diese Parteien stimmten.

Es ist offensichtlich, dass diese beiden Parteien, die über 35 Jahre einen ineffizienten, bürokratischen, korrupten, gigantischen Staatsapparat gestalteten, der Günstlinge unterbrachte, nach Belieben Beihilfen gewährte, Bestechungen, Schmiergelder, Renten an Pseudo-Behinderte usw. duldete, den Bürgern bis 2009 sympathisch war. Als jedoch – primär infolge der Unzulänglichkeit und Elendigkeit unserer Politiker, aber auch all jener, welche sie über Jahrzehnte wählten – die Kredite versiegten und der korrupte Staatsapparat zusammenbrach, hörten PASOK und N.D. auf, attraktiv zu sein. Und mussten bestraft werden. Und jetzt stehen wir einer Messung der Kräfte gegenüber, die mit den Wahlen am 06 Mai 2012 erfolgen wird, jedoch kann niemand deren Ausgang vorhersehen.

Falls wir den derzeit durchgeführten (bedrohlichen und unsicheren) Demoskopien Glauben schenken und sich ein zersplittertes Vielparteien-Parlament bestätigt, wird sehr wahrscheinlich keine Regierung hervorgehen. Aber auch selbst wenn sich eine Koalitionsregierung der sogenannten Memorandums-Parteien, sprich der N.D., der PASOK-Partei und der Demokratischen Allianz der Dora Mpakogianni ergeben wird, besteht eine noch größere Gefahr: nämlich dass diese Parteien dank des Wahlgesetzes zwar die zur Stützung der Regierung benötigten 151 Abgeordneten auf sich vereinigen, jedoch nicht 51% des Wahlkörpers erreichen werden. Mit dem Resultat, dass die Regierung – und zwar ab dem nächsten Tag – als Minderheitsregierung und nicht dem Willen des Volkes entsprechend bezeichnet wird, was die Stärkung der Tendenzen zu Selbstjustiz, Gewalt und Anzweiflung durch die organisierten Minderheiten zum Ergebnis haben wird, welche sich als authentische Sprachrohre der Interessen des Volkes betrachten. Und dann wird das Land in einen unglaublichen Zusammenbruch geführt werden, zu dem es seit dem Griechenland nach dem Bürgerkrieg kein Pendant gibt.

Dies ist eine sehr ernsthafte Möglichkeit, welche zumindest die seriösen Analytiker nicht wünschen, aber auch nicht ignorieren können. In diesem Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass die von dem Memorandum vorgesehenen Aktionen nicht umgesetzt werden können und fatalerweise der Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft eintritt, sogar auch wenn dies nicht in der Absicht unserer Gläubiger und der Europäischen Union liegt, die ihn jedoch nicht abwenden können werden. Einige Dinge übersteigen auch deren Willen oder die Planung. Das Unglück ist, dass die beiden traditionellen Machtparteien die Ernsthaftigkeit dieser Situation nicht wahrzunehmen scheinen und darin fortfahren, sich auf eine unverantwortliche Weise zu gebärden und sich gegenseitig zu beschuldigen, als ob wir uns in den Zeiten ihrer Allmächtigkeit befinden würden. Mit dem fatalen Resultat ihrer Selbstzerstörung, aber auch der eventuellen vollständigen Katastrophe.

Wahlen ohne Alternativen, Programme und Visionen

Die Wahlen werden am 06 Mai 2012 stattfinden. Und sie müssen stattfinden. Weil es anderenfalls keine Entspannung dieser alptraumhaften Situation geben kann, die tendiert, alles in dieser Gesellschaft mit sich zu reißen, die so verängstigt, wütend und verarmt wie sie ist, nicht weiß, wie sie reagieren soll, und von dem populistischen Geschrei organisierter Minderheiten und der Unzulänglichkeit der Mächtigen geleitet und geführt wird.

Natürlich ist nicht sicher, dass die Wahlen eine langfristige Lösung bieten werden. Erstens, weil überhaupt nicht sicher ist, dass es ein klares Ergebnis geben wird, welches die Bildung einer starken und überlebensfähigen Regierung gestatten wird. Und der zweite Grund ist, dass es keine herauskristallisierte Politik gibt, die entweder von Seite der “Memorandums-Befürworten” oder von Seite der “Memorandums-Gegner” die Bürger inspiriert, dass es eine ernsthafte Aussicht auf einen Ausgang aus der Krise gibt. Aktuell – und darüber sollten wir uns nichts vormachen – hat keine politische Kraft einen ausführlichen Vorschlag zur Bewältigung der derzeitigen kritischen Situation mit einer Vision und auf schlüssige Weise. Und dies ist die Sackgasse des politischen Systems.

Selbstverständlich bieten die zugunsten der gewissenhaften Umsetzung des Memorandums eingestellten Parteien, hauptsächlich PASOK und N.D., ein Argument, von dem wir nicht wissen, ob es für die Mehrheit der Bürger besonders überzeugend ist, nämlich dass wir nur mit unserer Beteiligung an der Europäischen Union und dem Verbleib in der Eurozone hoffen können, dass die Dinge sich irgendwann zum Besseren wenden und wir Luft schöpfen können werden. Die Wahl der Linken und der gegen das Memorandum gerichteten Parteien, die sich nur verweigern, bietet dagegen keine Lösung, sondern nur Geschrei, welches nicht den Notwendigkeiten zur Bewältigung der heute im Land herrschenden äußerst fatalen Lage gerecht wird.

Zumindest in absehbarer Zukunft ist eine Verbesserung nicht ersichtlich, gleich welche Partei bei diesen Wahlen gewählt werden wird. Und aus den wie auch immer gearteten uns zur Verfügung stehenden seriösen demoskopischen Daten zeigt sich, dass das Volk – sei es auch intuitiv – diese Situation begriffen hat und zwischen seiner Wut über PASOK und N.D., aber auch der Notwendigkeit einer überlebensfähigen Regierungsperspektive hin und her schwankt, um wenigstens das Schlimmste abzuwenden.

(Quelle: Vradyni)

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