Griechenland - Ein Volk wird radikal



Wachwechsel vor dem Grabmal des unbekannten Soldaten in Athen. Am 25. März feierte Griechenland die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Manche Griechen denken, jetzt herrschten andere fremde Mächte.

Nur wenige Wochen nach der quälenden Einigung auf drastische Sparmaßnahmen zur Rettung vor der Staatspleite zersplittert die politische Landschaft in Griechenland. Die Gefahr, dass das Land nach den bevorstehenden Wahlen weder willens noch in der Lage ist, seine versprochenen Opfer zu bringen, steigt – und damit das Risiko eines Austritts aus der Eurozone.

Die Wahlen, die immer noch nicht fest terminiert sind, aber im April oder Mai stattfinden sollen, entwickeln sich zunehmend zu einer Revolte gegen die angestammten Regierungsparteien. Ihnen wird die Zustimmung zu der Sparpolitik angekreidet, die der Preis ist für die Rettungsgelder der Europartner und des Internationalen Währungsfonds.

Die Politiker der großen Parteien werden vermehrt als diejenigen dargestellt, die Griechenland erst in eine Schuldenfalle geführt haben, der sie nun durch die Verarmung des Landes wieder zu entkommen versuchen. Die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok werben jetzt verzweifelt um Zustimmung, da sie Europa weitere Ausgabenkürzungen im Sommer versprochen haben.

Die Lage in Griechenland:
Rund die Hälfte der Wähler will Umfragen zufolge für radikale Strömungen votieren, die von traditionellen Kommunisten bis zu ausländerfeindlichen Neonazis reichen. Würde die Wahl so ausgehen, könnte das zu größerer politischer Instabilität führen, selbst wenn die etablierten Regierungsparteien an der Macht bleiben sollten. Die Umsetzung der heftigen Sparpolitik, die die Gläubiger verlangen, wäre gefährdet.

Fluchtreflex: Deutschkurse florieren

Die meisten Menschen hier denken, dass die beiden großen Parteien nicht länger die Macht haben sollten", sagt Costas Papaioannou. Der 32-jährige Deutschlehrer an einer Abendschule war bisher treuer Wähler der Konservativen, doch „das ist vorbei". Seine Kurse seien so voll wie noch nie, weil viele Menschen die Sprache lernen wollten um auszuwandern, berichtet er. Der Zustand seiner Heimat bedrückt ihn. „Wir sind wütend darüber, was passiert. Jeder hat Angst und keine Hoffnung."

Die Hauptstadt ist von den gewalttätigen Demonstrationen und vom wirtschaftlichen Niedergang gezeichnet. Eine wachsende Zahl von Menschen lebt auf der Straße vor geschlossenen Geschäften, ausgebrannte Gebäude verströmen den Geruch verkohlten Holzes. „Zur Miete" ist an bröckelnden Marmorfassaden auf den einst pulsierenden Boulevards zu lesen, während die Taxis in langen Schlangen auf Fahrgäste warten.

Die Sparmaßnahmen, die „unter deutschem Druck hingenommen" werden mussten, „sind außergewöhnlich schädlich für die griechischen Menschen", sagte Giorgos Karatzaferis von der nationalistischen Laos-Partei. Die nächste Runde von Kürzungen im Juni bezeichnet er als „völlig widerwärtig" und verspricht, sie zu bekämpfen.

Griechenland wird nach der Wahl das absolute Durcheinander sein", erwartet der Politikberater Anthony Livanios. „Eine unklare Parlamentsmehrheit, der sehr hohe Anteil linker Kräfte und wachsende soziale Unruhe – das ist das Rezept für Chaos", sagt er.

Die Wahl gibt den Griechen zum ersten Mal seit Beginn der Schuldenkrise Ende 2009 die Möglichkeit, ihre Vertreter selbst zu bestimmen. Seit dem Herbst wird das Land von dem so genannten Technokraten Lucas Papademos geführt, der mit der Unterstützung der beiden großen Parteien die Bedingungen für das 138 Milliarden Euro umfassende Rettungspaket durchbringen sollte. Ein Regierungssprecher erklärte Anfang dieser Woche, dass die Wahlen am letzten Sonntag im April oder an einem der ersten beiden im Mai stattfinden sollen.

Volksparteien zusammen bei 40 Prozent

Die Nea Dimokratia dürfte unter Parteichef Antonis Samaras den Umfragen zufolge die stärkste Partei werden. Beobachter erwarten eine Neuauflage der großen Koalition mit den Sozialdemokraten. Problematisch für beide Parteien ist dabei, dass sie nur noch mit einem gemeinsamen Stimmenanteil von 35 bis 40 Prozent rechnen können. Bei der letzten Wahl im Jahr 2009 erhielten sie noch 75 Prozent. Die erodierende Zustimmung ist das Resultat ihrer unpopulären Sparmaßnahmen und ihrer Misswirtschaft in der Vergangenheit.

Um die Rettungsgelder zu bekommen, hatten Samaras und der Führer der Sozialdemokraten, Evangelos Venizelos, den Europartnern schriftlich zusichern müssen, die Sparpolitik fortzusetzen. Unter anderem versprachen sie, bis Juni ein Gesetz zu verabschieden, mit dem die staatlichen Ausgaben um weitere 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden sollen. Das wird Volkswirten zufolge die Wirtschaft des Landes noch weiter abwürgen, die in den letzten vier Jahren schon um 14 Prozent geschrumpft ist und der für dieses Jahr ein weiterer Rückgang um fünf Prozent vorhergesagt wird.

Unter diesen Vorzeichen schrumpft auch die Wählerschaft der beiden Parteien. Noch vor kurzem hätte die Neue Demokratie mit einem glatten Sieg rechnen können, jetzt kommt sie in den Umfragen nur noch auf 25 Prozent. Die Pasok, die 2009 einen erdrutschartigen Sieg eingefahren hatte, bekommt demnach nur noch 15 Prozent.

Mehr als jeder fünfte Grieche ist arbeitslos, von den jungen unter 25 sogar jeder zweite. Obdachlosigkeit, Pleiten, Kriminalität, Selbstmordraten und Sterblichkeit nehmen zu. Die jungen, gut Ausgebildeten packen ihre Sachen und gehen.

Jeder Vierte will die Drachme zurück

Am Wochenende fand der Ärger der Griechen erneut in gewalttätigen Protesten seinen Ausdruck. Die Parade zum Unabhängigkeitstag in Iraklio, der Hauptstadt der Insel Kreta, wurde abgesagt, nachdem Demonstranten mit der Polizei aneinander geraten waren. Landesweit war das kein Einzelfall. In Athen riegelten tausende Polizisten die Innenstadt ab, um die Feierlichkeiten zu ermöglichen.

Polizisten und Demonstranten gegen die Sparpolitik am Sonntag in Patras.

George Vourtsis, ein 30-jähriger arbeitsloser Buchhalter, wollte die Parade anschauen, aber scheiterte an den Metallzäunen. Er findet keine Stelle und lebt bei seinen Eltern. Der Vater bringt das meiste Geld nach Hause – seine Rente von 900 Euro, die im Zuge der Sparpolitik um ein Viertel gekürzt worden war.

Vourtsis gehört zu dem Viertel der Griechen, die sich einen Austritt aus der Eurozone und die Drachme zurück wünschen. „Wir Arbeitslosen, deren Leben ohnehin schon an Qualität verloren hat, haben nichts zu verlieren", sagt er. „Es sind die Banken, die das fürchten", fügt er hinzu. Wen er wählen wird , weiß er noch nicht, aber eines schon: Die großen Parteien „sicher nicht".

Mit der abnehmenden Unterstützung für Konservative und Sozialdemokraten wachsen in Berlin und anderen Hauptstädten der Eurozone die Sorgen, dass die strukturellen Reformen des Landes nach der Wahl wieder ins Stocken geraten. Dabei hatte man doch auf das Gegenteil, also eine Beschleunigung gehofft.

Politische Beobachter beschwichtigen zwar und verweisen darauf, dass sich die Umfragen in Griechenland schon oft als unzuverlässig erwiesen hätten. „Man darf die soziale Dynamik dahinter aber nicht unterschätzen", sagt George Kyrtsos, Herausgeber und Kommentator der Zeitung CityPress. „Die Menschen sind wirklich frustriert. Es ist eindeutig, dass sie sich auf die Extremen zubewegen", erklärt er. Da die beiden großen Parteien geschwächt würden, „ist die unvollständige Umsetzung der Sparpolitik absehbar", erwartet der Journalist.

Schmale Mehrheit - fragile Regierung

Die Zuversichtlichen sagen, dass Konservative und Sozialdemokraten trotz der schwindenden Popularität eine gute Chance auf die nächste Regierung haben, wenn sie ein Bündnis schmieden. Das Wahlsystem des Landes gibt der größten Partei in dem 300 Köpfe zählenden Parlament 50 Mandate als Bonus. „Ich erwarte, dass sich die eurofreundlichen Kräfte durchsetzen. Dann liegt es an ihnen, eine Koalition zu bilden", sagt Yannis Stournaras, Chef des Athener Wirtschaftsforschungsinstituts IOBE.

Doch die Rivalität der beiden Gruppen und ihre wohl nur schmale Mehrheit würde ihre Regierung zur leichten Beute für Erpressungsversuche von Abtrünnigen machen, die von der radikalen Opposition und weiteren Straßenprotesten unter Druck gesetzt werden.

Trotz des Schuldenschnitts um mehr als 105 Milliarden Euro in diesem Monat liegt das Defizit des Landes immer noch bei 330 Milliarden Euro. Das entspricht mehr als 160 Prozent der Wirtschaftsleistung, weshalb Ökonomen die Summe nicht für rückzahlbar halten. Als Folge der schrumpfenden Wirtschaft verharrt der jährliche Fehlbetrag bei zehn Prozent.

Obwohl viele Griechen das Zutrauen in die Sparpolitik als Flucht aus der Schuldenfalle verlieren - mehr als 60 Prozent rechnen dennoch mit einer Staatspleite -, sehen die wenigsten eine Alternative. Mehr als 70 Prozent möchten den Euro behalten, weil viele fürchten, dass die Drachme nur zu noch mehr Chaos führen würde.

Wenn Athen die Reformen nicht wie geplant umsetzen kann und die Kredite deshalb ausbleiben, dann wäre der einzige Weg zur Vermeidung des totalen Kollapses wohl nur das Anwerfen der alten Gelddrucker. Viele Volkswirte und politische Beobachter halten das aber nicht für das wahrscheinlichere Szenario. Kommt es dennoch, dann könnte sich die Angst vor den anderen Schuldenländern wieder rasch ausbreiten und eine neue Panik an den Finanzmärkten auslösen. Selbst den radikalen Gegnern der Sparpolitik, die diese als deutschen Imperialismus verteufeln, gehen deshalb die Alternativen aus.

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