Der Absturz

Griechenlands Mittelschicht erlebt fassungslos, wie die Krise ihr gesamtes bisheriges Leben entwertet.

Direkt vom Erzeuger: Auf dem Campus der Universität von Thessaloniki verkauft ein Bauer seine Kartoffeln vom Lkw herunter. Studenten und Lehrkräfte haben diesen Handel organisiert. Ohne den Preisaufschlag der Zwischenhändler und ohne Steuern kosten die Kartoffeln hier nur ein Drittel ihres gewöhnlichen Preises – eine Entlastung der Haushaltskasse, gerade in Krisenzeiten. 

Wohn-und Arbeitszimmer sind nicht groß, aber sehr geschmackvoll eingerichtet. Bücher bis unter die Decke, zwei wirkungsvolle Teppiche, einige erlesene Dekorationsstücke in den Regalen – das Ambiente der gehobenen und gebildeten griechischen Mittelschicht. Noch kann man nicht sehen, dass auch über diese Familie die Krise mit aller Kraft hereingebrochen ist. Dass Kostas Tsapogas und Despina Antipa ihr gewohntes Leben nur noch mit ihren Ersparnissen und der gekürzten Rente der Eltern zusammenhalten. Im vergangenen Juli haben sie zum letzten Mal ihr Gehalt überwiesen bekommen. Seit November sind beide arbeitslos.

Die Blase ist geplatzt

Kostas war Chef des Auslandsressorts, seine Frau Redakteurin bei der linksliberalen Eleftherotypia, zu Deutsch Freie Presse. Der 57-Jährige hatte die Zeitung mit aufgebaut damals, nach dem Sturz des Obristenregimes 1975. Das Blatt war das mediale Flaggschiff einer Generation, die endlich in Meinungsfreiheit eine demokratische, eine europäische Gesellschaft der Bürger formen wollte. Eine Erfolgsgeschichte, die ein jähes Ende fand. Seit Dezember ist die Eleftherotypia nicht mehr erschienen.

Als die Schuldenkrise über Griechenland hereinbrach, die Verkaufs- und Werbeeinnahmen des Blattes zurückgingen, die Banken die Finanzierung einstellten und schließlich kein Geld mehr da war, traf das eine Zeitung, die – wie es Kostas Tsapogas ausdrückt – bereits den Sinn für die Realität verloren hatte, so wie das ganze Land. „Auch in der Eleftherotypia haben wir wie in einer Blase gelebt, in einer virtuellen Realität“, sagt er. „Sicher waren die Ausgaben höher als nötig, mit 800 Mitarbeitern waren wir zu viele, unsere Gehälter waren wohl auch viel zu hoch. Aber solange das von den Banken finanziert wurde, hat sich niemand darum gekümmert. Erst als unter dem Schock des Zusammenbruchs die Blase platzte, hat sich das alles gezeigt.“

Hart gearbeitet haben Kostas und Despina allerdings immer. Die Zeitung war ihrer beider Zuhause, beide arbeiteten dort sieben Tage die Woche, beide betreuten auch die griechische Ausgabe der New York Times mit, die der Wochenendausgabe der Eleftherotypia beilag. Zusammen kamen sie mit allen Überstunden auf knapp 8000 Euro im Monat und lagen damit weit über dem Durchschnittsgehalt. „Wir hatten ein gutes Auskommen, sind in Urlaub gefahren, konnten am Kulturleben teilnehmen. Und vor allem schien unser Einkommen sicher. Ich hätte mir nie vorstellen können, wie es ist, wenn von einem Tag auf den anderen kein Pfennig mehr in die Haushaltskasse kommt“, sagt Despina.

Nach einem Jahr keinerlei Anspruch Sozialhilfe

Arbeitslosengeld haben die beiden zwar beantragt, aber bei so vielen Journalisten, die ihre Stelle verloren haben, kommt ihre zuständige Berufskasse mit den Anträgen nicht nach. Von 4,5 Millionen Erwerbsfähigen in Griechenland sind inzwischen eine Million arbeitslos. Wenn Kostas endlich Arbeitslosengeld ausbezahlt bekommt, wird es für ihn aufgrund seiner langen Arbeitsjahre vermutlich der Höchstbetrag von 750 Euro sein, für Despina erheblich weniger. Dabei ist der Satz für Medienschaffende noch hoch. Die staatliche Versicherungsgesellschaft IKA zahlt nach den letzten Kürzungen noch höchstens 360 Euro.

Gezahlt wird in jedem Fall maximal ein Jahr lang, danach besteht keinerlei Anspruch mehr, auch nicht auf irgendeine Form von Sozialhilfe. Und wer kein Arbeitslosengeld mehr bekommt, ist auch nicht mehr krankenversichert. „Da bekommt man regelrecht Angst“, sagt Despina. Die zierliche Frau Anfang 40 hatte sich schon vor Jahren Gedanken über Alternativen zum Journalisten-Beruf gemacht und eine Zusatzausbildung als Konditorin abgeschlossen nach dem Motto: Lebensmittel sind krisenfest. „Ich habe es bei Bäckereien, Tavernen und auch als Imbisshilfe versucht“, erzählt sie. „Nirgends gibt es eine Stelle, nicht einmal für den neuen Mindestlohn von 580 Euro.“

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